Heute vor 75 Jahren, am 15. November 1949, nur vier Jahre nach Kriegsende, wurde eines der erfolgreichsten deutschsprachigen Sachbücher erstmals ausgeliefert, ohne das die Zukunft des Rowohlt-Verlags nach dem Zweiten Weltkrieg nicht möglich gewesen wäre: ›Götter, Gräber und Gelehrte‹ von C. W. Ceram alias Kurt W. Marek. Das Buch rettete den Verlag aus finanziellen Schwierigkeiten und wurde zu seinem zum größten Erfolg überhaupt. Der SWR sendete dazu ein ›Zeitwort‹: https://www.swr.de/swrkultur/literatur/zeitwort-20241115-das-buch-goetter-graeber-und-gelehrte-erscheint-100.html. Ob der Autor Michael Marek mit dem damaligen Lektor des Verlags und früheren Kriegskorrespondenten verwandt ist, ließ sich nicht ermitteln.
Allein die Allitaration des Titels war sicher nicht unerheblich für den Erfolg des Bandes, der zig Auflagen erfuhr und von dem über fünf Millionen Exemplare verkauft wurden; er ist noch heute im Verlagsangebot (https://www.rowohlt.de/buch/c-w-ceram-goetter-graeber-und-gelehrte-9783498009359). Sehr einprägsam ist auch die Gestaltung des Schutzumschlags und Einbands von Werner Rebhuhn.
Der von Marek gewählte Untertitel ›Roman der Archäologie‹ ist etwas irreführend, da es keine fiktionale Erzählung ist, sondern auf überaus unterhaltsame, spannende Weise Fakten über verschiedene Bereiche der Archäologie vermittelt. Das belegen allein schon die zahlreichen Abbildungen und Zeichnungen sowie der umfangreiche Anhang mit Zeittafeln.
Zu seiner ›Vorgehensweise‹ äußert sich Marek im Vorwort:
»Ich rate dem Leser, das Buch nicht auf der ersten Seite zu beginnen. Ich tue das deshalb, weil ich weiß, wie wenig die überzeugteste Versicherung des Autors verfängt, daß er einen außerordentlich interessanten Stoff vorzutragen habe, wie wenig besonders dann, wenn der Titel einen Roman der Archäologie verspricht, der Altertumskunde, von der jedermann überzeugt ist, daß sie eine der trockensten und langweiligsten Wissenschaften sei.
[…]
Unser Buch ist ohne wissenschaftliche Ambitionen geschrieben. Vielmehr wurde nur versucht, eine bestimmte Wissenschaft derart zum Gegenstand der Betrachtung zu machen, daß die Arbeit der Forscher und Gelehrten vor allem in ihrer inneren Spannung, ihrer dramatischen Verknüpfung, ihrem menschlichen Gebundensein sichtbar wurde. Dabei durfte die Abschweifung nicht gescheut werden, ebensowenig wie die persönliche Reflexion und die Herstellung aktueller Bezogenheit. Dadurch ist ein Buch entstanden, das der Wissenschaftler ›unwissenschaftlich‹ nennen muß.
Ceram, C. W.: Götter, Gräber und Gelehrte: Roman der Archäologie. Hamburg : Rowohlt, 1957. S. 13
Mit »persönliche Reflexion und die Herstellung aktueller Bezogenheit« meint Marek wohl seine Bemerkungen zur auch heute noch verbreiteten Zahlenmystik in Bezug auf antike Hinterlassenschaften, explizit hier die ägyptischen Pyramiden, zu Plünderungen und Grabraub sowie der illegalen Ausfuhr von antiken Artefakten durch Touristen oder deren Markierungen an antiken Gebäuden. Auf den vor nur wenigen Jahren beendeten Weltkrieg und die Nazizeit bezieht er sich ausdrücklich meines Wissens nur an einer Stelle, auf S. 198, wo er auf eine Äußerung des deutschen Architekten und Bauforschers Robert Koldewey in Bezug auf den Werdegang des Phalaris vom Architekten zum Tyrannen von Akragas (»Heutzutage ist solche Karriere dem Fachgenossen wohl sehr erschwert«) erwidert: »[…] wobei er allerdings nichts ahnte von dem halben Fachgenossen, der vom Jahre 1933 an Europa erschütterte«.
Noch eine Bemerkung in Bezug auf die allgemeine Bedeutung des Archäologie-Romans: Die Wertschätzung hochrangiger Persönlichkeiten wurde bekanntlich auch daran gemessen, v.a. von ihnen selbst, ob sie in einem allgemeinen Lexikon erwähnt werden – das ist heute mit der Wikipedia kaum anders. Mareks außergewöhnlicher Erfolg respektive seines Buches ist auch in dieser Kategorie erstaunlich: Bereits wenige Jahre nach dessen Erscheinen erhielt der Autor im ersten Brockhaus-Lexikon nach dem Krieg, der 16. Auflage (1952–1957), ein Lemma unter seinem richtigen Namen. In der nächsten, 17. Auflage etwa ein Jahrzehnt später fiel es noch etwas umfangreicher aus. In der 9. Auflage von Meyers Enzyklopädischen Lexikon aus den 70er Jahren wird er sogar mit Bild und unter seinem Pseudonym aufgeführt. Und das allein eigentlich nur wegen eines Buches!
Ich habe das Buch übrigens erst nach meinem Studium gelesen, kann es aber noch heute jedem empfehlen, der einen leichten, kurzweiligen, nicht-wissenschaftlichen Zugang zum Thema ›Archäologie‹ sucht, auch wenn das Buch selbstredend in einigen Teilen nicht mehr den aktuellen Stand der Forschung wiedergibt. Erstaunlich ist nicht zuletzt die Geschichte, wie und und unter welchen Umständen das Buch nur wenige Jahre nach Kriegsende entstand. Marek selbst wird dazu in der 2008 erschienenen Chronik des Rowohlt Verlags zitiert (Gieselbusch u.a. 2008, S. 159–163).
Literatur
Gieselbusch, Hermann ; Moldenhauer, Dirk ; Naumann, Uwe ; Töteberg, Michael: 100 Jahre Rowohlt: Eine illustrierte Chronik. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2008. S. 159–165
Mayer, Paul: Ernst Rowohlt, Rowohlt Monographien. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2008. S. 166 f.
Janzin, Marion; Güntner, Joachim: Das Buch vom Buch. 5000 Jahre Buchgeschichte. 3. Aufl. Hannover: Schlütersche, 2007. S. 419 f.
Verweise
C. W. Ceram – er führte Nachkriegsdeutschland in die Antike (Deutschlandfunk ›Kalenderblatt‹, 12.4.2022)
Sabine Kleyboldt: »Marek, Sie sind ein Schuft!«. Vor 50 Jahren starb Autor von ›Götter, Gräber und Gelehrte‹ (Domradio.de, 12.4.2022)
David Oels: Da ist er wieder (Frankfurter Rundschau, 28.1.2019)
Nikolaus Bernau: Mumien, Schätze, alte Mauern (Deutschlandlandfunk Kultur, 24.3.2008)
Das Abgründige in Marek (Der Spiegel 49/52, 2.12.1952)
Verhältnis zu Kurt Marek (Institut für Zeitgeschichte München – Berlin)