So wurde der aus dem Iran stammende und in Mannheim lebende Zeichner und Buchillustrator Mehrdad Zaeri 1985 mit seinen Eltern und Geschwistern im ersten Flüchtlingswohnheim in Deutschland von einer Iranerin begrüßt. Dasselbe Willkommen galt auch vergangenen Montag allen Besuchern in der Heidelberger Büchergilde-Buchhandlung ›Buch und Kultur‹, als ihr Inhaber Peter Schenk die Ausstellung einer Auswahl von Zaeris aktuellen Zeichnungen eröffnete.
Seit knapp 20 Jahren ist Zaeri als Buchillustrator, Live-Performance-Zeichner und Geschichtenerzähler im deutschsprachigen Raum tätig. Insbesondere mit der für ihre aufmerksam gestalteten und illustrierten Bücher bekannte Büchergilde Gutenberg hat er mehrere wunderbare Bücher herausgebracht, etwa 2008 ›Das chinesische Dekameron‹ und 2021 ›Menschenpflichten‹. 2023 erschien im Thienemann-Verlag die von ihm illustrierte Neuauflage von Otfried Preußlers Jugendbuch-Klassikers ›Krabat‹; drei Jahre dauerte die Arbeit an den in Schwarz-Weiß gehaltenen Zeichnungen: »Das ist, wie wenn man sagen würde: Illustriere bitte den Kleinen Prinzen. […] Das war für mich wirklich eine ganz aufregende Sache.« (Quelle: SWR Aktuell, 12.9.2023; s. auch das Interview mit Zaeri auf der Website des Verlags)
Eine besonders enge, freundschaftliche Beziehung verbindet Zaeri aber mit Peter Schenk, was die Wahl der Heidelberger Buchhandlung als Ausstellungsort erklärt. Bei der Gelegenheit nahm sich Zaeri auch reichlich Zeit, sein neuestes, im Verlag Fischer Sauerländer erschienenes Buch ›Anna – Was die Zeit nicht heilt‹ zu signieren. Es ist eine von ihm und seiner Frau Christina Laube einfühlsam und ausdrucksstark gestaltete Graphic Novel, die auf Bitten eine alten Dame entstanden ist, die gleichsam ein Denk- oder Grabmal für ihre im Zweiten Weltkrieg gestorbene Freundin, eine ukrainische Zwangsarbeiterin, hinterlassen wollte (s. dazu den Beitrag auf SWR Kultur vom 29.7.2024). Geradezu typische Themen für Zaeri: der Mensch in der Fremde, Freiheit und Humanitas.
Humor, also ›guter‹ Humor, ist ein untrügliches Zeichen von Intelligenz, jedenfalls nach meiner Erfahrung. Die Büchergilde Gutenberg, welche dieses Jahr ihren 100. Geburtstag feiert, und die mit ihr verbundenen Menschen, Autoren und Buchhändler, scheinen eine gehörige Portion davon zu haben. Das zeigte sich schon bei der Gründung der Büchergilde, und wird jetzt wieder deutlich bei oder in der ›Sonderausgabe Jubiläum‹, die anlässlich des Jubiläums an die Mitglieder verschickt wurde.
Zum einen wird das schon auf der Titelseite deutlich, auf der es heißt: »Vorwärts – mit heiteren Augen«. Es ist ein Zitat des Mitbegründers Ernst Preczang, der sich damit wiederum auf den Titel des ersten, 1924 erschienenen Buches der Büchergilde ›Mit heiteren Augen‹ bezieht, einer Geschichtensammlung von Mark Twain, und der hatte wahrlich einen guten und viel Humor.
Preczang thematisiert in seiner »Begrüßung und Einleitung« zu dem Buch auf den Seiten 6 und 7 bezeichnenderweise ausdrücklich die wesentliche Bedeutung des Humors für ein erträgliches Leben und als Eigenschaft des »freien Geistes«.
Der Titel des Buches fasst den Inhalt auf einen Blick zusammen, und er deutet gleichzeitig auf die Zuversicht unserer Gemeinschaft: daß sie froher Tatkraft voll ihren Weg gehen werde. Ja, mit vollem Bewußtsein stellten wir ein fröhliches Werk an die Spitze: als ein Zeichen, daß wir den Sinn erheben wollen über die Misere des Alltags und nicht darin versinken; daß wir auch lächel können über die Unvollkommenheiten der Welt und über unsere eigenen Mängel; daß heitere Kraft uns aus dem Kleinen fließe, um desto ernster, desto tiefer die großen Erscheinungen und Schicksale empfinden und würdigen zu können.
Ernst Preczang in: Twain, Mark ; Preczang, E. (Hrsg.): Mit heiteren Augen. Leipzig: Verlag Büchergilde Gutenberg, 1924. S. 6
Dass Humor auch den heutigen Autoren zu eigen ist, beweißt Saša Stanišić, dem beim Verfassen seines Jubiläumsgrußes ein rechter Schalk im Nacken saß.
Und Humor ist schließlich auch eine Charaktereigenschaft des Inhabers der Heidelberger Büchergilde-Buchhandlung, Peter Schenk, der in seiner Stellungnahme treffend schreibt: »Kultur, das muss Spaß machen, man muss Witze machen und mit den Leuten scherzen können.«
Wohl wahr! Ohne Humor wäre alles nichts. Und doch, das sei hier humorlos ergänzt, bedeutet Humor, so Preczang,
»eben […] mehr als Spaßmacherei. Es ist nicht so sehr eine Angelegenheit des Verstandes, wie es beispielsweise der Witz ist, sondern viel mehr eine Sache des Gemüts. Der echte Humorist führt eine ›unsichtbare Träne im Wappen‹, er bemitleidet die Welt und sich selber wegen ihrer Torheiten.«
Ernst Preczang in: Twain, Mark ; Preczang, E. (Hrsg.): Mit heiteren Augen. Leipzig: Verlag Büchergilde Gutenberg, 1924. S. 6 f.
Daraus kann nur die Empfehlung folgen, kein Witz: Wer noch nicht Mitglied der Büchergilde ist, sollte dies schleunigst nachholen, am besten sogar noch Genosse oder Genossin werden. Sie und ihre Bücher sind schlichtweg eine Bereicherung des eigenen Lebens wie der Kultur insgesamt.
1995 erklärte die UNESCO den 23. April zum ›Welttag des Buches‹, »dem weltweiten Feiertag für das Lesen, für Bücher und die Rechte der Autoren«. Es sei hier ergänzt: dem Feiertag für das schöne Buch.
Loubier, geboren 1863 in Berlin, war Bibliothekar, Buch- und Einbandforscher sowie langjähriger Mitarbeiter Peter Jessens an der Staatlichen Kunstbibliothek in Berlin. Er begleitete und befasste sich intensiv mit der Buchgestaltung in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts und hatte mit seinen Schriften, unter anderem mit dem zitierten Band, erheblichen Einfluss auf die ›Buchkunstbewegung‹, die wiederum auch für die Entwicklung der heutigen Buchgestaltung bedeutsam war. (https://www.arthistoricum.net/themen/va/buchkunst-deutschland/ausstellung/ii)
In dem Band, der heute noch überraschenderweise antiquarisch für wenig Geld zu bekommen ist – die UB Heidelberg bietet allerdings auch ein Digitalisat an: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/loubier1921 –, beschreibt Loubier ausführlich die Entwicklungen der Buchgestaltung bis zu Beginn der 1920er Jahre, ausgelöst durch das Arts and Crafts Movement in England und die Arbeiten der Kelmscott Press von William Morris, und geht dabei auf die verschieden deutschen Protagonisten, die ›Privatpressen‹, Buchkünstler und -gestalter, Drucker, Verleger und Schriftgestalter ein. Ergänzt wird der ergiebige und aus der ›Behrens-Antiqua‹ sorgfältig gesetzte Text mit über 150 Abbildungen, die Textbeispiele und Einbände, aber auch zahlreiche Schriftproben umfassen. Allein der Einband, gestaltet von Walter Tiemann, ist ein optischer Genuss.
Damals wie heute scheinen diesem Genuss gegenüber jedoch nur vergleichsweise wenige Menschen aufgeschlossen zu sein, wie das Zitat von Loubier zu Beginn des ersten Kapitels zeigt:
Ein gutes Buch in schöner Form bedeutet einen verdoppelten Genuß. Die schöne Form erhöht den Genuß des Lesens. Wir haben eine ähnliche Empfindung, wenn wir einen edlen Wein aus einem edelgeformten Glase trinken, wenn uns eine köstliche Frucht auf einer köstlichen Schale dargereicht wird. Gewiß, das ist Gefühlssache, aber alles Ästhetische ist Gefühlssache. Freilich weiß ich aus Erfahrung, daß bei Büchern nur eine Minderheit solche ästhetische Empfindungen hat. Der Deutsche ist im Durchschnitt mehr literarisch als künstlerisch gebildet, er weiß nach dem Inhalt gute und schlechte Bücher zu unterscheiden, aber es fehlt ihm meistens das Gefühl, äußerlich schöne und unschöne Bücher zu unterscheiden. Ja ich kenne weit mehr Leute, die eine seine Goldschmiedearbeit, eine schöne Vase, ein gutes Möbel, einen kostbaren Stoff eher zu würdigen vermögen, als ein schön gedrucktes und schön gebundenes Buch.«
Hans Loubier: Die neue deutsche Buchkunst. Stuttgart: Krais, 1921. S. 1
Loubier und der Autor halten es dagegen mit Michel de Montaigne, den Loubier folgendermaßen zitiert:
Obgleich ich niemals ohne Bücher reise – auch in Kriegszeiten nicht –, kann es doch vorkommen, daß ich sie Tage oder selbst Monate lang nicht ansehe. Ich sage mir dann, es soll nächstens geschehen oder morgen oder wann es mir passen wird. Und inzwischen läuft die Zeit weiter und vergeht, ohne daß es mich schmerzt. Denn ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich in der Gewißheit verweile und ausruhe, daß sie mir zur Hand sind, um mir zu gelegener Zeit Freude zu bereiten, und wie sehr ich die Hilfe, die sie meinem Leben bringen, zu schätzten weiß. Ich halte Bücher für die beste Munition auf der menschlichen Lebensreise und beklage alle Leute von Intelligenz, denen sie fehlen.
Hans Loubier: Die neue deutsche Buchkunst. Stuttgart: Krais, 1921. S. 1 f.
Was für ein schönes, geschmackvolles ›Geschenk‹ machte diese Woche die Internationale Gutenberg-Gesellschaft in Mainz e.V. ihren Mitgliedern!
Die Dankesrede der Typographin und Schriftstellerin Judith Schalansky für ihre Ernennung zur Mainzer Stadtschreiberin im Jahr 2014 in Form einer Schriftprobe. Sehr originelle Idee und hervorragend umgesetzt, nicht nur die Gestaltung von Schalansky und Jennifer Kroftova, sondern auch und vor allem der Druck im Buchdruckverfahren mit Photopolymer- respektive Nyloprint-Klischees, der, wie bereits der vorherige ›Kleine Druck‹ Nr. 114, von Daniel Klotz von den Lettertypen in Berlin auf einer alten Heidelberger Zylinder Druckmaschine ausgeführt wurde. Es ist sehr erfreulich, dass die renommierte Gutenberg-Gesellschaft den tradionellen Buchdruck nach wie vor wertschätzt und junge Werkstätten, die noch in diesem Verfahren drucken, mit solchen Aufträgen unterstützt.
Schalansky, Judith: Der fischäugige Konsul. Mainzer Dankesrede als Musterbuch ausgewählter Schriften, Kleine Drucke 115. Mainz: Internationale Gutenberg-Gesellschaft in Mainz e.V., 2024
Grundsätzlich bin ich kein Freund von Nyloprint-Klischees, weil der Satz am Rechner erstellt wird und der wichtige Werkprozess des Handsatzes wegfällt (dazu s. u.a. folgende Diskussion https://www.typografie.info/3/topic/37036-hipster-entdecken-papier/#comment-242073). Tatsächlich erscheinen die bisherigen ›modernen‹ Buchdrucke im Vergleich zu sorgfältig im Bleisatz erstellten Drucken auch nicht überzeugend. Im vorliegenden Fall ist das Ergebnis aber überaus gelungen, abgesehen davon, dass sich die Wiedergabe moderner, digitaler Schriften auch nicht anders hätte im Buchdruck realisieren lassen.
Schließlich ist auch der Text sehr lesenswert:
Jedes Buch ist eine Flaschenpost, die uns durch das Meer der vergangenen Zeiten erreicht – in Inhalt und Form seiner Zeit und lebenswirklichkeit verhaftet, vo der es noch immer erzählt. Diese Abgeschlossenheit jedoch erscheint nur jenen unpraktisch, der das Vergangene für ein entwicklungsgeschichtlich zurückgebliebenes Brückentier halten, das nötig war um die Gegenwart zu erreichen. Jenem hemmungslos gefrönten Fortschrittsglauben sei entgegengehalten, dass es nicht allzu viele Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich alles stetig in Richtung Vollkommenheit entwickelt. Es erscheint einfach nur aus Lebenserhaltungsgründen unumgänglich, uns genau das einzubilden.
Schalansky, Judith: Der fischäugige Konsul. Mainzer Dankesrede als Musterbuch ausgewählter Schriften, Kleine Drucke 115. Mainz: Internationale Gutenberg-Gesellschaft in Mainz e.V., 2024.
Hier passen Form und Inhalt auf vorbildliche und attraktive Weise zusammen.
Die einst renommierte Wissenschaftliche Buchgesellschaft, kurz wbg (die Website ist aktuell [8.1.2024] nur noch sehr eingeschränkt nutzbar, weshalb zur Information über die Geschichte der wbg der entsprechende Wikipedia-Artikel empfohlen wird), die viele Geisteswissenschaftler – in meinem Fall mit Beginn meines Studium in den späten 80er Jahren – begleitet und zuverlässig mit Grundlagenliteratur versorgt hat, ist seit Ende vergangenen Jahres de facto Vergangenheit und seit kurzem de iure nur noch eine Marke, ein ›Imprint‹, wie es im Verlagsjargon heißt, des Herder Verlags (https://www.boersenblatt.net/news/verlage-news/herder-uebernimmt-teile-der-wbg-314143). Wie die wbg in den vergangenen Jahren sich zahlreiche bedeutende Verlage, z.B. Theiss und Philipp von Zabern, einverleibt und damit gleichsam aufgelöst hat, so wird nun auch sie geschluckt und auf kurz oder lang wohl auch bedeutungslos werden. Bezeichnend für den Bedeutungsschwund der wbg in den vergangenen Jahren ist auch das Medienecho sowohl auf die Insolvenz-Ankündigung im Oktober und die Übernahme durch Herder: Neben den Fachmagazinen böresenblatt, Buchreport und Buchmarkt berichteten nur zwei überregionale Zeitungen mit eigenen Beiträgen darüber, und diese haben ihren Sitz auch noch in Hessen: Die Frankfurter Rundschau mit einem Artikel und die FAZ gleich mit drei Artikeln im Oktober (12.10.2023, 17.10.2023 und 21.10.2023), davon einer sogar vom Althistoriker Uwe Walter. Süddeutsche Zeitung und Zeit reichten nur die dpa-Meldung weiter. Für vormals eines der bedeutendsten deutschen Verlagshäuser für geisteswissenschaftliche und theologische Literatur ist das erschreckend wenig.
Die 1946 gegündete wbg sei »im vergangenen Jahr infolge einer nicht erfolgreichen IT-Umstellung, aber auch angesichts der aktuell schwierigen Lage im Buchhandel in eine Liquiditätskrise geraten«, was im Oktober zur »Eröffnung eines Insolvenzverfahrens« und schließlich nach diversen Rettungsversuchen zur Auflösung der wbg geführt habe (Quelle: https://buchmarkt.de/herder-uebernimmt-teile-der-wissenschaftlichen-buchgesellschaft-wbg/). Mag sein, in meinen Augen hat die wbg aber schon seit vielen Jahren oder gar Jahrzehnten durch ihre ›Anbiederung‹ an einen Massenmarkt etwa durch Aufnahme stark populärwissenschaftlicher Titel ins Programm wesentlich an Qualität verloren, sich durch die Übernahme kostspieliger Lizenztitel verkalkuliert und durch das erwähnte Aufsaugen von Konkurrenzverlagen gleichsam aufgebläht und verzettelt. Man könnte es auch mit Uwe Walter schlichter beschreiben: »Später zeigte sich eine gewisse Orientierungslosigkeit.« (https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/das-ende-der-wbg-caesar-zog-die-kaeufer-an-19247987.html). Letztlich halte ich es mit Walter, wonach mit dem Ende der wbg, »wieder ein Stück Heimat verloren« gegangen sei, wobei ich mich dort allerdings schon seit Jahren nicht mehr wirklich heimisch gefühlt habe.
Damit gibt es am deutschen Markt nur noch eine bedeutende Buchgemeinschaft, nämlich die Büchergilde Gutenberg.
Sie feiert dieses Jahr ihren 100. Geburtstag und ist durch ihre erfolgreiche Umwandlung in eine Genossenschaft, eine kluge Verlagsführung und ein attraktives Programm nach wie vor sehr lebendig. Damit die Büchergilde sich aber weiterhin dem guten, lesenswerten und schönen Buch widmen und es gegen den Strom der Beliebigkeit vertreiben kann sowie zugleich ihre Unabhängigkeit behält, braucht sie als Genossenschaft Unterstützung durch weitere Mitglieder. Informationen dazu finden sich auf der Website unter https://buechergilde.de/genossenschaft-genoss:in-werden.
Offenbar schätzen manche Menschen auch nicht mehr ihre schönen alten Bücher. So fand sich gestern im Bücherschrank auch eine Ausgabe von Felix Timmermans bekanntestem Roman ›Pallieter‹ aus dem Insel-Verlag.
Der Band ist zwar von 1943 (die deutsche Erstausgabe erschien 1921 im Insel-Verlag), und die Seiten sind entsprechend etwas nachgedunkelt. Aber er ist insgesamt gut erhalten und so schön gestaltet, wie es für die Bände des Insel-Verlags damals üblich war, mit hübschen kleinen, einfachen Zeichnungen des Autors und gesetzt anscheinend aus der entzückenden Unger-Fraktur.
Das Buch ist ein guter Beleg für die von Ferdinand Puhe treffende Charakterisierung Timmermans als einen
»[…] Künstler, der mit Worten malt und mit dem Malerpinsel und dem Zeichenstift erzählt.«
Puhe, Ferdinand: »Ich habe zunächst einmal eine Gier beim Malen …«. Felix Timmermans – Schriftsteller und Illustrator. In: Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie Bd. 242, Heft 2021/3 (2021), S. 65
Schon merkwürdig – und in dem Fall auch bedauerlich –, was die Leute so alles nicht mehr lesen oder zuhause haben wollen. Gestern im Neuenheimer Bücherschrank gefunden: Ödön von Horváths ›Geschichten aus dem Wiener Wald‹ aus der Bibliothek Suhrkamp.
Ein schlichtes, solide gemachtes Buch, wie es sein sollte, an dem nichts ablenkt, mit einem fulminanten Inhalt: Wie entsteht brutales, rücksichtsloses, faschistisches Denken? Dummheit ist ein wesentlicher Faktor, weshalb auch der folgende, überaus bemerkenswerte Satz dem Stück als Motto vorangestellt ist:
»Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.«
Ödön von Horváth: Geschichten aus dem Wiener Wald
Zu Horváth, einem heute mehr denn je lesenswerten Schriftsteller, siehe oder, besser gesagt, höre etwa die WDR-Sendung ›ZeitZeichen‹ vom 15.4.2018: 01.06.1938 – Todestag Ödön von Horvath
Bücher werden in der Regel als fertiges, makelloses Produkt wahrgenommen, das keine Spuren seines Fertigungsprozesses aufweist oder aufweisen soll. Nur ein sichtbarer Fehler kann auf seine Genese und diese ›Vergangenheit‹ hinweisen. Im Falle der heutigen, im Desktop-Publishing und Offset-Verfahren erstellten Bücher finden die einzelnen Fertigungsschritte, der Satz, der Druck und die Bindung, auch für die Beteiligten jedoch meist im Verborgenen statt, im Rechner, in der abgeschirmten Druckmaschine oder auf der Fertigungsstraße der Buchbinderei. Anders sieht es hingegen bei Büchern aus, die im Bleisatz und Buchdruck gefertigt wurden. Hier gibt es keine Blackbox, die einzelnen Fertigungsschritte sind für Setzer und Drucker einsehbar, hörbar und fühlbar, sinnlich erfahrbar. Und im fertigen Buch sichtbare Fehler rufen diese Arbeitsschritte geradezu unvermittelt während der Lektüre, bei der man an den Text denkt und nicht an die Fertigung seines Trägers, in Erinnerung, führen dem Leser die ›individuelle Biographie‹ des Buches vor Augen und werfen es in seine ›Kindheit‹ zurück. Voraussetzung ist natürlich, dass der Leser den Fehler erkennt und die Spur lesen kann.
von Hahn, Johann Georg (Hrsg.): Griechische Märchen, Die andere Bibliothek. Bd. 27. Nördlingen: Greno Verlagsges. mbH, 1987
Solche Spuren der Vergangenheit eines Buches wirken umso intensiver, weil unerwartet, je makelloser es aufgrund des hohen Qualitätsanspruches des Verlages sein soll. Ein Beispiel ist hier der Band ›Griechische Märchen‹ aus der berühmten, ursprünglich von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Reihe ›Die Andere Bibliothek‹, der 1987 erschienen ist und von Franz Greno gestaltet sowie in seiner Werkstatt gesetzt und gedruckt wurde. Auf Seite 280 ist am Ende der Überschriftzeile ein schwarzer Fleck mit rechteckigem Umriss zu erkennen, bei dem es sich um den Abdruck eines Ausschlussstückes, vielleicht eines Viertelgevierts handelt, ein sogenannter Spieß.
Ausschluss- oder Blindmaterial soll den Raum einer Zeile füllen, der nicht mit Text gefüllt ist, und folglich nicht mitgedruckt werden (daher ›blind‹).
Während des Druckens ist ein Stück offenbar hochgerutscht, wurde eingefärbt und dann doch mitgedruckt. Das kann verschiedene Gründe haben, aber hier war entweder der Setzer verantwortlich, der die Zeile zu fest ausgeschlossen hat, wodurch sie unter zu viel Spannung stand, oder der Drucker hat die Form vor dem Einheben in die Maschine nicht richtig geschlossen. Jedenfalls scheint der Fehler dem üblicherweise sonst strengen Blick von Grenos Mitarbeitern entgangen zu sein. Im Auge des Druckers ist der Spieß natürlich ein Fehler, für den Leser aber letztlich ein außergewöhnlicher, wenn auch unfreiwilliger Hinweis auf den aufwendigen Fertigungsprozess der Bücher dieser Reihe, die noch bis 1996 im Bleisatz und Buchdruck hergestellt wurden, der es gleichsam auch materiell nahbar macht.
Literatur
Haefs, Wilhelm; Schmitz, Rainer: Die Chronik der Anderen Bibliothek. Bände No. 1–400. Berlin : Die Andere Bibliothek, 2018
Boehncke, Heiner; Sarkowicz, Hans: Wir drucken nur Bücher, die wir selber lesen möchten. Die Geschichte der Anderen Bibliothek in Gesprächen, Kometen der Anderen Bibliothek. Berlin: AB – Die Andere Bibliothek, 2014
Wörgötter, Michael; Schnotale, Heike: Bleisatz. Ein Werkstattbuch. Bonn: Rheinwerk Verlag, 2022 (erscheint voraussichtlich im November)
Bauer, Friedrich: Anfangsgründe für Schriftsetzer.Kleine Fachkunde. 12., neu bearb. Aufl. Frankfurt a.M. : Polygraph, 1967
Davidshofer, Leo; Zerbe, Walter: Satztechnik und Gestaltung. Schweizerisches Fach- und Lehrbuch für Schriftsetzer. 3. Aufl. Zürich: Bildungsverband Schweizer. Buchdrucker, 1954
Bekanntlich finden sich in öffentlichen Bücherschränken allerlei mehr oder weniger bemerkenswerte Bücher. Aber dieser schmale Band mit einer fiktiven Geschichte des englischen Schriftstellers Alan Bennett über die Leseerfahrungen der Queen mit abschließender überraschender Wendung, über die man gerade in diesen und vergangenen Tagen des öfteren öffentlich diskutiert, war es allemal wert mitgenommen und gelesen zu werden, nicht zuletzt natürlich weil er in der vorzüglichen Reihe SALTO des Verlags Klaus Wagenbach erschienen ist (hier in der 18. Auflage!). Bei dessen Anblick stellte sich natürlich unvermittelt die Frage, warum jemand diesen Band überhaupt abgeben wollte.
Es ist eine entzückende Geschichte, durch die man zwar auch auf sehr amüsante und zugleich nachdenkliche Weise etwas mit der Queen in Kontakt zu kommen meint, aber die vor allem vom ›Zauber‹ des Lesens handelt. Bereits auf den ersten Seiten lässt Bennett die Queen folgende treffliche Erkenntnis über das Lesen aussprechen:
»Aber Informieren ist nicht gleich Lesen. Es ist im Grunde sogar das Gegenteil des Lesens. Information ist kurz, bündig und sachlich. Lesen ist ungeordnet, diskursiv und eine ständige Einladung. Information schließt ein Thema ab, Lesen öffnet es.«
Bennett, Alan: Die souveräne Leserin, Salto. Bd. 155. 18. Aufl. Berlin: Wagenbach, 2016. S. 22
Und heißt es nicht, wir lebten aktuell im ›Informationszeitalter‹? Bedauernswert und ein Grund mehr, schöne und gute Bücher zu lesen, was das Zeug hält.
Eine schöne Überraschung gab es vor einigen Tagen, als mir eine freundliche Nachbarin neben diversen Büchern auch drei Bände des Eugen Diederichs Verlag mit Illustrationen von F. H. Ernst Schneidler schenkte:
Kungfutse: Gespräche (Lun Yü), Die Religion und Philosophie Chinas. Bd. 1. Jena: Diederichs Verlag, 1910
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund (Tschung Hü Dschen Ging). Die Lehren der Philosophen Liä Yü Kou und Yang Dschu, Die Religion und Philosophie Chinas. Bd. 8,1. Jena: Eugen Diederichs Verlag, 1911
Mengzi: Mong Dsi (Mong Ko), Die Religion und Philosophie Chinas. Bd. 4. 2. Aufl. Jena: Eugen Diederichs Verlag, 1921
Beide – Diederichs und Schneidler – haben zwischen 1909 und 1924 zahlreiche Buchprojekte miteinander realisiert und gehörten zu den wichtigsten Protagonisten der Buchkunstbewegung in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie wurden auch in der Ausstellung der Heidelberger Universitätsbibliothek 2018/19 ausführlich vorgestellt.
Der Verleger Eugen Diederichs (1867–1930) gilt als Wegbereiter der neuen Buchkunst in Deutschland und wird in der 1912 erschienenen Heidelberger Dissertation von Helmut von Steinen als »der Prototyp des modernen deutschen Kulturverlegers« bezeichnet. Beeinflusst von den Ideen William Morris’ setzte er von Beginn an seine Vorstellungen von einer hochwertigen Ausstattung insbesondere des ›Gebrauchsbuchs‹ durch. Die Gestaltung des Einbands und des Textes, der Buchschmuck und die Papierwahl mussten aufeinander abgestimmt werden und dem Inhalt des Buches entsprechen. Besondere Aufmerksamkeit widmete Diederichs bei seinen Büchern dem Innentitel, während der Textteil meist keinerlei Schmuck aufweist, wie es auch bei den hier vorgestellten Bänden der Fall ist.
Das folgende Zitat aus einem Beitrag des Bibliothekars und Buchwissenschaftlers Jean respektive Hans Loubier zur ›neuen Buchkunst‹ von 1910 umreißt die Bedeutung Diederichs recht präzise:
»Wenn wir nach den Verlegern fragen, die zuerst auf eine zeitgemäße künstlerische Durchbildung ihrer Verlagswerke in Druck, Satz, Buchschmuck und Einband Gewicht legten, so müssen wir dankbar als ersten, als Bahnbrecher Eugen Diederichs nennen, der damals, 1896, seinen Verlag begründete. Diederichs ist bis heute unablässig bemüht gewesen, jedem Buche seines Verlags eine seinem Inhalt entsprechende, ich möchte sagen individuelle Ausstattung zu geben. Mit liebevoller Sorgfalt wählte er, fast für jedes Buch anders, das Druckpapier, die Type, die Satzanordnung, den Zierat, Vorsatz und Einband, in allen kleinsten Einzelheiten, z. B. im Titelsatz, in der Anordnung der Seitenzahlen und Kopftitel, der Druckvermerke, suchte er etwas Neues, Originelles zu geben. Er hat, lebhaften und beweglichen Geistes, viel experimentiert, aber sein feiner Geschmack, sein buchästhetisches Gefühl bewahrten ihn davor, im Neuen etwa absurd zu werden. Und seine mancherlei Experimente haben anderen Verlegern und auch Künstlern viele Anregungen gegeben. Er hat, was ihm nicht hoch genug angerechnet werden kann, und womit er mutig vorangegangen ist, von Anfang an junge Künstler herangezogen, wie Cissarz, Fidus, Vogeler, Lechter, Behrens, E. R. Weiß, Ehmcke und manche andere, und ihnen nicht nur den bildlichen und ornamentalen Schmuck, sondern die ganze Druckeinrichtung übertragen. Ebenso wie er neue Künstler an die Bucharbeit heranzog, hat er nicht nur den bewährten, durch künstlerische Arbeit bekannten Druckereien wie Drugulin, Holten, Breitkopf & Härtel Druckaufträge gegeben, sondern er fand auch von den noch weniger bekannten Offizinen diejenigen heraus, die mit ihm neue Wege gehen wollten, wie Poeschel & Trepte, die Steglitzer Werkstatt, und wußte wieder andere, z.B. die Spamersche Druckerei, durch seine Aufträge überhaupt erst zu geschmackvoller Arbeit anzuregen.«
Um jeden Text aus der ihm gemäßen Schrift zu setzen, wählte Diederichs auch aktuelle, von jungen Malern und Graphikern wie Otto Eckmann, Fritz Helmuth Ehmcke oder Walter Tiemann geschaffene Schriften. Für die hier gezeigten Bände kam anscheinend eine Schrift des 1873 geborenen Richard Grimm-Sachsenberg zum Einsatz, die vermutlich 1908 von der Schriftgießerei Julius Klinkhardt veröffentlichte Schrift ›Neue Römische Antiqua‹.
Gerade in der überaus produktiven Phase des Verlags vor dem Ersten Weltkrieg war Schneidler einer der kreativsten deutschen Buchgestalter. Nach seinem Studium von 1904 bis 1905 bei Peter Behrens und Ehmcke an der Kunstgewerbeschule in Düsseldorf arbeitete er bis 1924 für Diederichs und gab vor allem einigen Reihen des Verlags, die Diederichs besonders am Herz lagen, ihr typisches Gepräge. So etwa den ersten Bänden der 1912 eröffneten und beinahe 100 Jahre lang erschienenen Reihe ›Märchen der Weltliteratur‹ und eben ›Die Religion und Philosophie Chinas‹, in der chinesische Klassiker, unter anderem von Laotse, Konfuzius, Zhuangzi und das I Ging, die der Stuttgarter Sinologe und Theologe Richard Wilhelm erstmals ins Deutsche übersetzt hatte, in sechs Bänden veröffentlicht wurden. Insgesamt gestaltete Schneidler für Diederichs 29 Titel, wobei er entweder die gesamte Ausstattung eines Buches übernahm oder, wie bei den vorliegenden Bänden, auch nur den Einbandes oder die Doppeltitel zeichnete. Letztere tragen zudem auch das 1910 von Schneidler gestaltete Löwen-Signet des Verlags (es bezieht sich auf den ›Marzocco‹ des Donatello in Florenz). Seine intensive Auseinandersetzung mit chinesischer Literatur, Philosophie und Kalligraphie wird ihn zusätzlich für die Aufträge qualifiziert haben.
Isphording, Eduard: Draufsichten. Buchkunst aus deutschen Handpressen und Verlagen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts . Die Sammlung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg. Leipzig: Faber & Faber, 2005, bes. S. 33–35 und 69
Caflisch, Max; Kapr, Albert ;SchumacherGebler, Eckehart; Weiss, Antonia; Willberg, Hans Peter: F. H. Ernst Schneidler. Schriftentwerfer, Lehrer, Kalligraph. München: SchumacherGebler, 2002
Eyssen, Jürgen Buchkunst in Deutschland. Vom Jugendstil zum Malerbuch: Buchgestalter, Handpressen, Verleger, Illustratoren. Hannover: Schlütersche Verlagsanstalt, 1980
Diederichs, Ulf (Hrsg.): Eugen Diederichs: Selbstzeugnisse und Briefe von Zeitgenossen. Düsseldorf: Eugen Diederichs Verlag, 1967
Schauer, Georg Kurt: Die Deutsche Buchkunst. 1890 bis 1960. Hamburg: Maximilian-Gesellschaft, 1963