Schatzkästlein der Schriften – Schriftproben der Offizin Haag-Drugulin

Schriftproben dienten jahrhundertelang Schriftgießereien und Druckereien zur Vermarktung ihres jeweiligen Angebots an Schriften, Zeichen und Zierelementen. Der Umfang der oft aufwendig gestalteten und hergestellten Drucke reichte von nur wenigen Blättern für einzelne Schriften bis hin zu mehrere hundert Seiten umfassenden Musterbüchern für das komplette Sortiment. Die frühesten Musterblätter sind bereits von Inkunabeldruckern bekannt, also seit dem späten 15. Jh. Berühmt ist beispielsweise der Druck von Erhardt Ratdoldt.

Faksimile der Schriftprobe des Erhard Ratdoldt, Venedig/Augsburg 1486, in: Mori, Gustav: Das Schriftgießereigewerbe in Süddeutschland und den angrenzenden Ländern, Bertholddruck. Stuttgart: Schriftgießerei Bauer & Co, 1924. Taf. 1

In großem Stil wurden Schriftproben allerdings erst mit der industriellen Fertigung von Schriftlettern seit der Mitte des 19. Jahrhunderts produziert, wobei oftmals nicht nur die Schriften in den verfügbaren Graden und Schnitten gezeigt wurden, sondern auch deren verschiedene Anwendungsmöglichkeiten etwa für die Reklameanzeige, die Visitenkarte oder als Mengentext. Mit der Verlagerung des Vertriebs und der Vermarktung von Schriften ins Internet ist auch die traditionelle, gedruckte Form der Schriftwerbung mittlerweile gleichsam ausgestorben.

Von den um 1900 besonders angesehenen Druckereien in Deutschland, wie Poeschel & Trepte und Drugulin in Leipzig sowie Otto von Holten in Berlin, war es die Offizin Drugulin, welche die Form der Schriftprobe in besonderem Maße zur Werbung nutzte – die erste Probe wurde bereits 1835 veröffentlicht. Der Betrieb geht auf die 1829 von Friedrich Nies gegründete Buchdruckerei zurück, die sich schon früh auf die Herstellung von Typen für den Fremdsprachensatz spezialisiert hatte und seit 1831 über eine eigene Schriftgießerei verfügte. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten wurde die Druckerei 1856 an Carl Berendt Lorck verkauft, der sie zunächst neu organisierte, infolge dessen ihren Ruf als Spezialdruckerei für orientalische Schriften wieder herstellte und sie schließlich doch 1868 an Wilhelm Eduard Drugulin verkaufte. Noch im selben Jahr erwarb dieser, vermutlich noch mit Unterstützung von Lorck, die Stempel und Matrizen der Carl Tauchnitz’schen Gießerei von der Firma Metzger & Wittig, deren Typen für orientalische Schriften internationale Anerkennung genossen. Damit hatte Drugulin einen »Komplex geschaffen, wie er ausser in den Staatsanstalten zu Wien und Paris sich nicht wieder vorfindet« (Lorck 1882, S. 339), nach Karl Faulmann »16.000 Stahlstempel und 56.000 Matritzen« (Illustrirte Geschichte der Buchdruckerkunst mit besonderer Berücksichtigung ihrer technischen Entwicklung bis zur Gegenwart. Wien: Hartlebens, 1882. S. 730).

Nach dem Tod Drugulins 1879 wurden Druckerei und Schriftgießerei zunächst von seiner Witwe Elisabeth Drugulin weitergeführt, die 1880 Egbert Johannes Baensch, ihren späteren Schwiegersohn (später Baensch-Drugulin), der selbst ausgebildeter Buchdrucker und Schriftgießer war, zunächst als Geschäftsführer und 1882 als Teilhaber aufnahm. Von 1901 an war er schließlich Alleininhaber der Offizin. Mit ihrem reichen Fundus an nicht-lateinischen, orientalischen Schriften und der eigenen Schriftgießerei verfügte Drugulin bereits Ende des 19. Jahrhunderts über ein, wie man es heute vielleicht formulieren würde, ›Unique Selling Product‹, dass sie auch intensiv auf verschiedenen Wegen bewarb. So legte die Offizin beim 8. Internationalen Orientalisten-Kongresses, der 1889 in Stockholm und Oslo stattfand, einen speziell den Teilnehmern gewidmeten Kalender vor, in dem kurze Textstellen in verschiedenen ›orientalischen‹ bzw. asiatischen Sprachen, jeweils mit deutscher Übersetzung, abgedruckt waren. Außerdem zeigte man die Vielseitigkeit der verfügbaren Typen auch etwa durch Beilagen in Fachzeitschriften oder Sammelpublikationen, wie etwa in dem opulenten, 1895 von Theodor Goebel im Stuttgarter Krais Verlag herausgegebenen Band ›Die graphischen Künste der Gegenwart. Ein Führer durch das Buchgewerbe‹. Damals verfügte die Offizin nach eigenen Angaben über

ein[en] Reichtum an Schriften, wie er ähnlich nur in wenigen Offizinen zu finden sein dürfte. Derselbe besteht zur Zeit aus 231 Orientalischen, 246 Fractur- und 417 Antiqua-, in Summa 894 verschiedenen Schriften, und wird durch fortwährende Anschaffungen und hauptsächlich eigenes Schneidenlassen fremdländischer Typen von Jahr zu Jahr bedeutend vermehrt.

Beilage in: Goebel, Theodor: Die graphischen Künste der Gegenwart. Ein Führer durch das Buchgewerbe. Stuttgart: Felix Krais Verlag, 1895

Beilage der Offizin W Drugulin in: Goebel, Theodor: Die graphischen Künste der Gegenwart. Ein Führer durch das Buchgewerbe. Stuttgart: Felix Krais Verlag, 1895 (https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/goebel1895/0081)
Beilage der Offizin W Drugulin in: Goebel, Theodor: Die graphischen Künste der Gegenwart. Ein Führer durch das Buchgewerbe. Stuttgart: Felix Krais Verlag, 1895 (https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/goebel1895/0081)

Die spektakulärste Werbung für diese überaus reichhaltige Sammlung und wohl einer der prächtigsten Drucke der Offizin überhaupt sind die von Ludwig Sütterlin gestalteten ›Marksteine aus der Weltliteratur in Originalschriften‹, die 1902 zur Erinnerung an den 500-jährigen Geburtstag Gutenbergs erschienen, um, so Baensch-Drugulin im Vorwort, »ein Schatzkästlein der Lebensweisheit der Völker zu schaffen« und »zu zeigen, was eine einzelne Druckerei im Beginne des neuen Jahrhunderts zu leisten vermöge«. Auf über 200 Seiten werden 34 zentrale Schriften verschiedener Kulturbereiche, z.B. Koran-Suren, äthiopische Literatur, Texte von Goethe, Dante, Skakespear, Victor Hugo, Platon und Konfuzius, armenische, uigurische, kyrillische und koptische Texte, die hinduistische Bhagavad Gita, rabbinische Spruchweisheiten sowie Passagen aus dem malaiischen Moralbuch und dem japanischen ›Kopfkissenbuch‹ der Dame Sei Shōnagon, in ihren jeweiligen Schriften oder Sprachen und in einer der jeweiligen Kultur angemessenen Gestaltung präsentiert, mit wissenschaftlichen Kommentaren und z.T. mit Übersetzungen.

Ein Clou des Buches ist, dass der erste Teil Texte enthält, die linksläufig geschrieben werden, z.B. jene in lateinischer und griechischer Schrift, und ab der Mitte das Buch gleichsam von hinten zu lesen ist, da nun rechtsläufig geschriebene Texte folgen, etwa in arabischer oder hebräischer Schrift. Angesichts des enormen Aufwands und überaus aufmerksamen Gestaltung ist es nur folgerichtig, wenn Rudolf Kautzsch, damals Direktor des Deutschen Buchgewerbemuseums zu Leipzig, das Buch in seiner Besprechung von 1902 als »ein echtes Kunstwerk« bezeichnet und zu dem Schluss kommt:

Wie die Sammlung rückschauend die Bedeutung der Offizin auf dem Gebiete des fremdsprachlichen Drucks zeigt, so stellt sie sich vorschauend zugleich unter die Vorkämpfer der neuen buchgewerblichen Bewegung: Die Marksteine sind zugleich ein Markstein unserer deutschen Buchdruckerkunst um die Jahrhundertwende.

Rudolf Kautzsch: Marksteine der Weltliteratur, in: Archiv für Buchgewerbe, Bd. 39. 1902. S. 484

Die ›große Zeit‹ der Offizin waren sicher die Jahre des frühen 20. Jahrhunderts, die damalige Buchkunstbewegung wäre ohne Drugulin nicht denkbar: Die Offizin druckte die Zeitschriften ›Pan‹ und ›Die Insel‹ und arbeitete für typographisch anspruchsvolle Verlage wie den Insel-Verlag, Eugen Diederichs und Hans von Weber. 1910 begann Ernst Rowohlt mit der Herausgabe der ›Drugulin-Drucke‹, um klassische Texte in hochwertiger Ausstattung und sorgfältigem Druck preiswert auf den Markt zu bringen. Die Bücher wurden, wie der Name sagt, von Drugulin aus eigenen Schriften gesetzt und zweifarbig gedruckt.

Die wirtschaftlichen Krisenjahre nach dem Ersten Weltkrieg haben allerdings auch die Offizin erfasst, zumal im Krieg die Geschäftsverbindungen mit dem Ausland abgerissen waren. 1919 übernahm zunächst die D. Stempel AG mit Anteilen der GmbH auch die Stempel- und Matrizenschätze. Dennoch warb die Druckerei auch in dieser schweren Zeit für ihre besonderen Qualititäten. So richtete sie sich beispielsweise, ähnlich wie 1889, diesmal jedoch anlässlich des 1. Deutschen Orientalistentages, der 1921 in Leipzig abgehalten wurde, mit einer Broschüre, in der Sprüche in 16 verschiedenen Sprachen respektive Schriften gedruckt sind, direkt an die Teilnehmer der Tagung, um so gleichsam direkt beim Kunden auf ihre besondere Kompetenz im fremdsprachigen, nichtlateinischen Satz und Druck aufmerksam zu machen.

Neben den wirtschaftlichen Schwierigkeiten gab es anscheinend auch technische, denn die Offizin war anscheinend nicht in der Lage, eine vollständige Probe aller ihrer Schriften herzustellen. Das jedenfalls ist im Nachwort zu einem der schmalsten, aber umso feineren Musterbüchlein der Offizin zu lesen, das 1924 »in einer einmaligen Ausgabe von fünfhundert Exemplaren auf echt handgeschöpft Werkdruck 302 der Papierfabrik J. W. Zanders Bergisch-Gladbach gedruckt« wurde. Die Probe, in Leder gebunden und mit goldgeprägten Deckelfileten verziert, umfasst nur 30 Seite, auf denen neben 15 gebrochenen Schriften auch elf nicht-lateinische Schriften respektive Schnitte dersselben (u.a. Chinesisch, Tibetisch, Hebräisch und Äthiopisch) präsentiert werden. Laut dem Nachwort soll mit dem ersten Heft »eine freie Reihe von Veröffentlichungen begonnen [werden], die allmählich sämtliche Hausschriften der Offizin und ebenso auch deren Neuschnitte zur Anschauung bringen wird«. Ob jedoch weitere ›Hefte‹ folgten, ist mir nicht bekannt.

Eine Gesamtprobe konnte schließlich 1929 erstellt werden, nachdem im selben Jahr der Zusammenschluss mit der Druckerei F. E. Haag, die von Melle nach Leipzig übersiedelt war, vollzogen wurde, wodurch die ›Offizin Haag-Drugulin AG‹ entstand. Die damit verbundene »wesentliche Erweiterung« des Schriftenbestandes wird auch in der Schriftprobe deutlich. Auf über 300 Seiten werden mehr als 200 verschiedene Schriften und Schriftschnitte präsentiert, unter denen die nicht-lateinischen Schriften nach wie vor einen erheblichen Teil ausmachen.

Das Ergebnis dieser Fusion in Bezug auf den Schriftbestand war mit der Probe aber noch nicht abschließend dokumentiert. Bereits ein Jahr später wurde ein Nachtrag notwendig, dessen Geleitwort die Änderungen erläutert:

[…] Eine starke Ergänzung hat vor allem unsere Typographabteilung erfahren. Außer den in diesem Nachtrag neu bemusterten Typen sind auch die im ersten Musterbuch enthaltenen Typograph-Schriftsätze nun fast alle in mehrfacher Anzahl vorhanden. Dadurch sind wir in der Lage, eilige Satzaufträge auch in unsrer Typographabteilung auf mehreren Setzmaschinen gleichzeitig in Angriff zu nehmen und in allerkürzester Frist fertigzustellen. Dieser Umstand hatte in Melle nicht wenig dazu beigetragen, den Ruf der einzigartigen Leistungsfähigkeit des dortigen Typographbetriebs zu begründen, und wir freuen uns, daß wir nun auch in unsrer Leipziger Typographabteilung unsere alten und neuen Kunden in gleich vorteilhafter Weise bedienen können. Selbstverständlich wurde inzwischen aber auch die von uns besonders gepflegte Monotypeabteilung nicht vergessen und ihre reichhaltige Ausrüstung noch durch manche wertvolle Schrift bereichert und~ ausgebaut, wobei wir besonders auf künstlerisch wertvolle Schriftschnitte unser Augenmerk richteten.

Auch in der Akzidenzabteilung wurden außer den von Melle übernommenen Schriften Verschiedenes neu angeschafft. Einige alte Bestände alte Bestände aus dem Drugulinschen Magazin wurden geordnet und gebrauchsfähig gemacht, soweit es sich um künstlerisch wertvolles Material handelte, welches zeitlose Geltung hat.

Geleitwort in: Nachtrag zur Schriftprobe der Offizin Haag-Drugulin AG. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1930. S. 9–11

Aber auch diese Fusion führte nicht zum gewünschten wirtschaftlichen Erfolg. Erst mit der Übernahme 1930 durch den größten deutschen Buchkommisionär, die Koehler & Volckmar AG, und unter der Leitung von Ernst H. Kellner, einem Schüler Rudolf Kochs und Gründer der Drugulin-Presse (gegr. 1937), einer im Zusammenhang mit der Offizin gepflegten Lehrwerkstatt und Werkstatt für Handpressendrucke, konnte an die herausragenden Leistungen vor dem Ersten Weltkrieg angeknüpft werden. Es ist daher bezeichnend, dass in dem Vorwort des 1933 erschienenen 2. Nachtrags zur Probe von 1929 wieder die buchkünstlerischen Leistungen der Offizin hervorgehoben werden:

Unsere Offizin dankt ihren Ruf als Qualitätsdruckerei nicht zuletzt ihren wertvollen Schriftbeständen, durch deren verständnisvolle Anwendung die ihr übertragenen Drucharbeiten so gestaltet werden, daß sie sich stets von anderen Erzeugnissen abheben. Die buchkünstlerische Kultur unserer Druckarbeiten kommt vielleicht auch in der Tatsache zum Ausdruck, daß bei der Auswahl der 50 besten Bücher in den letzten fahren allein 20 Drucke unserer Offizin ausgezeichnet wurden.

Geleitwort in: Nachtrag zur Schriftprobe der Offizin Haag-Drugulin AG. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1933. S. 9 f.

Als Ausdruck dieses erneut hohen Anspruchs ist auch ›Drugulins Schatzkästlein für Bücherfreunde‹ zu verstehen, ein 160 Seiten umfassendes, aufwendig gestaltetes ›Musterbüchlein‹, das die Druckerei im Dezember 1936 als »Neujahrsgabe für ihre Freunde« produziert hat und das auf jedem Blatt ein aus einer anderen Schrift der Offizin gesetztes Zitat enthält, insgesamt 76. Es war von Erich Wolters, dem späteren künstlerischen Leiter der Offizin, gestaltet und wurde 1937 auf der Pariser Weltausstellung mit dem ›Diplom d’honneur‹ ausgezeichnet.

Dass sich die Offizin unter der Leitung von Kellner der kulturgeschichtlichen Bedeutung des Buchdrucks und der Schrift durchaus bewusst war und sich als Teil der buchkünstlerischen Kultur begriff, wird schließlich in seiner 1939 veröffentlichten und lehrreichen ›Kleine[n] Stilgeschichte unserer gebräuchlichsten Druckschriften‹ überaus deutlich.

Nur wenige Jahre nach Erscheinen des zweiten Nachtrags waren offenbar alle drei Proben vergriffen, so dass eine neue Auflage notwendig wurde, die 1936 erschien. Allerdings hielt es die Offizin 1935 – vor allem wohl infolge der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 – »wegen der wachsenden Bevorzugung der Frakturschriften« für angebracht, ihren »um viele wertvollen Neuanschaffungen bereicherten Bestand an deutschen Schriften« in einer »einfach gebundene Sonderausgabe zuerst« fertigzustellen,wie es im Vorwort der Probe heißt. Sieht man von dem ›deutschnationalen‹ Unterton und den allgemeinen damaligen verhängnisvollen Umständen ab, die zu der Entscheidung geführt haben, so ist der Band mit über 80 verschiedenen Schriften respektive Schriftschnitten durchaus ein Schmuckkästchen für Liebhaber gebrochener Schriften.

Die ein Jahre später erschienene Gesamtprobe ersetzte nun alle früheren Bände, die inzwischen auch vergriffen waren, und »umfaßt unser ganzes Material nach dem Stand vom Frühjahr 1936«. Auf fast 500 Seiten werden darin knapp 300 Schriften und deren Varianten präsentiert. Entsprechend dem schon angesprochenen deutsch-nationalen ›Zeitgeschmack‹ oder, wie es im Vorwort heißt, »wegen der erfreulich wachsenden Bevorzugung der Frakturschriften« nehmen diese mit fast 80 Schriften und Schnitten einen weiten Raum in der Probe ein. Auch das Vorwort und die Schriftnamen sind, anders als bei den vorherigen Proben, aus einer Fraktur gesetzt. Nichtsdestotrotz und »entsprechend der ausgedehnten Verbreitung der sogenannten lateinischen Schrift in der außerdeutschen Welt ist die Auswahl dieser Schriftart [mit 150 Schriften und Schnitten] bedeutend größer«. Schließlich enthält die Probe auch das umfangreiche »fremdsprachliche Schriftmaterial« der Offizin, das »von unserer Gründerfirma, der Offizin W. Drugulin, im Laufe ihres hundertjährigen Bestehens teils selbst geschaffen, teils in den Ursprungsländern angekauft« wurde und das »die Schriftzeichen für fast alle Sprachen der Welt« umfasst.

Einen existentiellen Einschnitt bedeutete der Luftangriff in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 1943 auf Leipzig. Dabei wurden unter anderem weite Teile des ›Graphischen Viertels‹ von Leipzig zerstört. Die Offizin verlor ihr Verwaltungsgebäude, 60% der Produktionsanlagen und fast die gesamte Setzerei. Auch Ernst Kellner kam dabei ums Leben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Betrieb 1946 enteignet und unter dem Namen VEB Offizin Haag-Drugulin weitergeführt. Unter Horst Erich Wolter (1906–1984), einem der führenden Typographen und Buchgestalter der DDR, der als Setzer von 1927 bis 1929 in der Druckerei von Poeschel & Trepte und danach bei Drugulin gearbeitet hat und die künstlerische und technische Leitung von 1948 bis 1971 inne hatte, versuchte die Offizin trotz der Kriegsverluste an die frühere »buchkünstlerische Kultur« (Wolter) anzuknüpfen. Die 1948 produzierte und von Wolter gestaltete ›Schrift- und Anwendungsprobe von Werkschriften für den schönen Buchdruck‹ spiegelt diesen Anspruch wieder. Im Vorwort schrieb er entsprechend:

Die Zerstörungen des furchtbaren Krieges sind auch an unserem Hause nicht spurlos vorübergegangen. Wertvolle und sehr reiche Schriftbestände wurden vernichtet und können in absehbarer Zeit nicht ersetzt werden. Es erscheint daher fast wie ein Wunder, wenn sich inmitten der Ruinen Buchdruckerwerkstätten befinden, in denen sich viele fleißige Hände regen. Es sind wieder Männer am Werk, um Leipzigs weitbekannten Ruf als Stadt des Buches zu festigen und weiter auszubauen. Auch die Offizin will, verpflichtender Tradition eingedenk, bei diesem regen Schafen nicht zurüchstehen. Wir betrachten es als eine unserer schönsten Aufgaben, an der buchkünstlerischen Kultur zeitloser Druck-Erzeugnisse mit allen Kräften mitzuarbeiten.

Schrift- und Anwendungsprobe von Werkschriften für den schönen Buchdruck. Leipzig : Haag-Drugulin, 1948. S. 5

Dass der Anspruch auch in die Realität umgesetzt wurde, belegt die Tatsache, dass Drucke der Offizin bei dem 1952 wiedereingeführten Wettbewerb ›Schönste Bücher‹ regelmäßig ausgezeichnet wurden, darunter auch die mehr als 630 Seiten umfassende und aufwendig, geradezu dekorativ gestaltete Schriftprobe von 1953. Sie präsentiert rund 250 Werk- und Akzidenzschriften, darunter auch zahlreiche gebrochene Schriften.

Als Einleitung dient eine konzise, überaus lesenswerte von Wolter verfasste und mit Schriftproben illustrierte Schriftgeschichte, die natürlich auch an Kellners ›Kleine Stilgeschichte‹ von 1939 anknüpft. Darin bekennt sich Wolters einerseits bemerkenswerterweise zum weiteren Gebrauch der gebrochenen Schriften:

Es soll hier nicht eingehend erörtert werden, ob Gotisch und Fraktur in der Gegenwart noch ihre Berechtigung haben. Im Dienste der Völkerverständigung verdient die Antiqua den Vorzug. Das bedeutet jedoch nicht, daß man auf das ererbte Kulturgut von gotischen und Fraktur-Schriften ganz verzichten soll. Die Auswahl der Schrift ist nicht nur vom Standpunkt der Leserlichkeit zu treffen, sondern auch vom Geistigen her. Die Grundlage für die Schönheit des Buches und jeder Drucksache ist die Type; ihre Form entstand aus einer langen Entwicklung, in der sich der dauerhafte Kulturbestand einer jeden Nation herausgebildet hat; und daher bleiben auch diese Schriften weiter lebendig. (S. 30)

Horst Erich Wolter in: Die Schriftproben des Volkseigenen Betriebes Offizin Haag-Drugulin. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1953. S. 30

Andererseits sieht er seine Arbeit, wie die Vertreter der Buchkunstbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, in der Tradition der ersten Drucker der Inkunabel-Zeit:

Es wurde versucht, den Sinn für die schöne Form der Schrift zu wecken. Wie die prächtigen Drucke aus der Frühzeit des deutschen und italienischen Buchdrucks empfängliche Menschen durch die Form begeisterten und immer wieder begeistern, so empfinden auch die werktätigen Menschen unserer Zeit das Echte und Wahre jeder guten Arbeit. Wir müssen wieder das Gefühl dafür finden, daß Type und Inhalt des Druckwerks wie Wort und Schrift eng zusammengehören und also einander entsprechen müssen und uns von jedem Formalismus freimachen. In unserem klassischen Kulturerbe, in der Welt der Klassiker und Humanisten, ist dieses Gefühl Form geworden.

Wie die Schrift als Ausdruck ihrer Zeit mit jedem gesellschaftlichen Umbruch neuen Reichtum gewann, anknüpfend an das überkommene Erbe und zugleich Neues schaffend, so müssen wir auch in dem heutigen Wandel der Zeit unsere Aufgabe klar erkennen. Es ist die Aufgabe, die Werke unserer und der großen Meister anderer Völker im vorbildlich gestalteten Buch dem Menschen nahezubringen […].

Horst Erich Wolter in: Die Schriftproben des Volkseigenen Betriebes Offizin Haag-Drugulin. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1953. S. 65

Nur ein Jahr später, im Juni 1954, wurde die Druckerei, wie viele andere Firmen in der DDR, mit dem Namen einer bekannten sozialistischen Persönlichkeit unbenannt, in dem Fall nach dem dänischen Schriftsteller Martin Andersen Nexö. Noch im selben Jahr wurde die letzte unter dem alten Namen ›Offizin Haag-Drugulin‹ aufwendig gestaltete Freundesgabe, ›Karl Marx – Gedanken und Aussprüche‹, gedruckt.

Wenige Jahre später wurden dann unter dem neuen Namen ›Volkseigener Betrieb Offizin Andersen Nexö‹ noch zwei Nachträge zur Probe von 1953 gedruckt. 19957 erschien der erste Band, in seiner Aufmachung, also in Bezug auf den orangfarbenen Leineneinband, das Vorsatzpapier und den zweifarbigen Druck, noch ganz an die Gesamtprobe von 1953 angelehnt. Wie bei dieser sind auch immer wieder Schriftmustertafeln ›eingestreut‹, und in einem Nachwort hebt Wolter noch einmal die umfassende Bedeutung der Schrift hevor:

Die Schrift offenbart uns den Reichtum der Seele. Sie ist Mittlerin unter den Menschen, und durch sie wird das unsichtbare Gefüge lebendig. In Jahrtausenden haben sich durch Mühe und Fleiß Formen entwickelt, die unsere Welt reicher und schöner gemacht haben.

Horst Erich Wolter in: Die Schriftproben des volkseigenen Betriebes Offizin Andersen Nexö. Erster Nachtrag. Leipzig: Offizin Andersen Nexö, 1957. S. 241

Im Unterschied dazu ist der zweite, 1962 erschienene Nachtrag schlichter gestaltet. Zudem weicht er auch durch seinen blauen Einband deutlich von den älteren Proben ab.

Zudem nutzte die Druckerei weiterhin die Möglichkeit, über hochwertige kleine Werbegeschenke in Form von ›Jahresgaben‹ oder ›Freundesgaben‹, wie der 1968 gedruckten zweisprachigen Ausgabe von Victor Hugos berühmten ›Hymnus auf die Druckkunst‹, einem Essay aus seinem Roman ›Notre Dame de Paris‹, Kunden zu binden oder neue zu gewinnen.

1988 wurde schließlich noch die mit knapp 700 Seiten im Vergleich zur vorherigen Probe etwas umfangreichere ›rote Schriftprobe‹ herausgegeben. Sie präsentiert allerdings mit rund 200 Schriften weniger ›Inhalt‹ als die vorherige Probe von Wolters und ist auch deutlich schlichter gestaltet, was vielleicht auch daran lag, das der von Wolter vertretene hohe buchkünstlerische Anspruch vier Jahre nach dessen Tod nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte. Wie auch immer, jedenfalls ist es meines Wissens die letzte Schriftprobe einer deutschen Druckerei für den traditionellen Buchdruck.

Nach der Wiedervereinigung wurden die Schriftschätze und Buchdrucktechnik der Offizin schließlich vom renommierten Münchner Typostudio Eckehart SchumacherGeblers übernommen. 1994/95 vereinigte er sie mit seinem eigenen Bestand und führt seitdem die Tradition der Druckerei zunächst in Leipzig, dann in Dresden bis heute weiter. Im Unterschied zu früheren Zeiten präsentiert die heutige Offizin Haag-Drugulin Graphischer Betrieb GmbH ihre Schriften heute indes ›nur‹ online und nicht in gedruckter Form – noch nicht.

Literatur

  • Reynolds, Daniel John Andrew: Schriftkünstler. A historiographic examination of the relationship between handcraft and art regarding the design and making of printers type in germany between 1871 and 1914. Braunschweig: Hochschule für Bildende Künste, 2020. passim
  • Eckehart SchumacherGebler: Die Geschichte der Offizin Haag-Drugulin (https://offizin-haag-drugulin.de/geschichte/)
  • ›Wie ein fruchtbarer Regen nach langer Dürre …‹. Buchkunst des frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland. Virtuelle Präsentation zur gleichnamigen Ausstellung der Universitätsbibliothek Heidelberg vom 9. Mai 2018–10. Februar 2019
  • Neteler, Theo: Offizin W. Drugulin – Haag-Drugulin – Andersen Nexö. Bd. 1: Die Offizin W. Drugulin – Haag-Drugulin. Leipzig: Offizin Andersen Nexö, 2009
  • Hempel, Siegfried: Offizin W. Drugulin – Haag-Drugulin – Andersen Nexö. Bd. 2: Offizin Haag-Drugulin – Andersen Nexö 1943–2008. Leipzig: Offizin Andersen Nexö, 2009
  • Bähring, Helmut; Rüddiger, Kurt (Hrsg.): Lexikon Buchstadt Leipzig. Von den Anfängen bis zum Jahr 1990. Taucha: Tauchaer Verlag, 2008
  • Neteler, Theo: Die Offizin Haag-Drugulin – Ein Nachtrag, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 16. Wiebaden: Harrassowitz, 2007. S. 157–190
  • Isphording, Eduard: Draufsichten. Buchkunst aus deutschen Handpressen und Verlagen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Sammlung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg. Leipzig: Faber & Faber, 2005. S. 80
  • Lehner, Georg: Der Druck chinesischer Zeichen in Europa. Entwicklungen im 19. Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz, 2004. S. 142–146
  • Riecker, Ariane ; Dittmann, Matthias ; Markov, Claudius: Offizin Andersen Nexö. Die Firmengeschichte. Leipzig: Offizin Andersen Nexö, 1995
  • Bergner, Walter: Die Offizin Haag-Drugulin in Leipzig, in: Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie. 131. Heft, 1993/3. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag. 1993. S. 3–33
  • Bergner, Walter: Ein Fundus Leipziger Buchkultur. Zur Geschichte des Letternschatzes der Offizin Haag-Drugulin, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 3. Wiesbaden: Harrassowitz, 1993. S. 257–274
  • Neteler, Theo: Die Offizinen W. Drugulin und Haag-Drugulin. Philobiblon 36.1. Stuttgart: Hauswedell, 1992. S. 27–52
  • Lexikon des gesamten Buchwesens, 2. Aufl. Stuttgart: Hiersemann: Bd. 1 (1987) S. 218 s.v. Baensch-Drugulin, Egbert Johannes; Bd. 2 (1989) S. 384 s.v. Drugulin; Bd. 3 (1991) S. 318 s.v. Haag-Drugulin
  • Bergner, Walter: Horst Erich Wolter. 1906–1984, in: Kapr, Albert (Hrsg.): Traditionen Leipziger Buchkunst: Carl Ernst Poeschel, Walter Tiemann, Hugo Steiner-Prag, Ignatz Wiemeler, Horst Erich Wolter. Leipzig: VEB Fachbuchverlag, 1989. S. 225–279
  • Salzmann, Karl H.: Baensch-Drugulin, Egbert Johannes, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 1. Berlin: Duncker & Humblot, 1953. S. 522 f.
  • ders.: Drugulin, Wilhelm Eduard, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 4. Berlin: Duncker & Humblot, 1959. S. 139 f.
  • Barge, Hermann: Geschichte der Buchdruckerkunst von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Leipzig: Reclam, 1940. S. 432 f.
  • Bauer, Friedrich: Chronik der Schriftgießereien in Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarländern. 2., erg. Aufl. Offenbach a.M.: Verlag des Vereins Deutscher Schriftgießereien, 1928
  • Rodenberg, Julius: Deutsche Pressen: eine Bibliographie. Wien: Amalthea-Verlag, 1925. S. 218–222
  • Baensch, W.: Die Offizin W. Drugulin, Leipzig, in: Schulte-Strathaus, Ernst; Hildebrandt, Günther (Hrsg.): Die Bücherstube: Blätter für Freunde des Buches und der zeichnenden Künste, Die Bücherstube. 2. Jg. München: Buchenau & Reichert, 1923. S. 100–102
  • Loubier, Hans: Die neue deutsche Buchkunst. Stuttgart: Krais, 1921. passim
  • Schmidt, Rudolf: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Beiträge zu einer Firmengeschichte des deutschen Buchgewerbes, Bd. 6. Berlin: Verlag der Buchdruckerei Franz Weber, 1902. S. 1071 f.
  • Lorck, Carl Berendt: Handbuch der Geschichte der Buchdruckerkunst. Leipzig: J. J. Weber, 1882. S. 338–341
  • Lorck, Carl Berendt: Die Druckkunst und der Buchhandel in Leipzig durch vier Jahrhunderte. Leipzig: Weber, 1879. S. 110–112

Schriftproben

  • Proben aus der Schriftgießerei, Stereotypengießerei und Buchdruckerei von Friedrich Nies in Leipzig. Leipzig: Nies, 1835
  • Proben der Schriftgießerei und Buchdruckerei von W. Drugulin in Leipzig. Leipzig: Offizin W. Drugulin, 1872
  • Dem Deutschen Orientalistentag Leipzig. Leipzig: Offizin W. Drugulin, 1921
  • Proben einiger Hausschriften der Offizin W. Drugulin, Heft 1. Leipzig: Offizin W. Drugulin, 1924
  • Schriftproben der Offizin Haag-Drugulin A.-G. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1929
  • Nachtrag zur Schriftprobe der Offizin Haag-Drugulin AG. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1930
  • Anwendungsproben der schönsten Drugulin-Schriften. Erstes Heft. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1932
  • 2. Nachtrag zur Schriftprobe der Offizin Haag-Drugulin AG. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1933
  • Die Frakturschriften der Offizin Haag-Drugulin AG. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1935
  • Anwendungsproben der schönsten Drugulin-Schriften. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, o.J. (um 1935)
  • Die Schriftproben der Offizin Haag-Drugulin. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1936
  • 1. Nachtrag zur Schriftprobe der Offizin Haag-Drugulin von 1936. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1939
  • Schrift- und Anwendungsprobe von Werkschriften für den schönen Buchdruck . Monotype, Intertype, Linotype, Typograph. Leipzig: Haag-Drugulin, 1948
  • Die Schriftproben des Volkseigenen Betriebes Offizin Haag-Drugulin. Leipzig: Offizin Haag-Drugulin, 1953
  • Die Schriftproben des volkseigenen Betriebes Offizin Andersen Nexö. Erster Nachtrag. Leipzig: VEB Offizin Andersen Nexö, 1957
  • Die Schriftproben des volkseigenen Betriebes Offizin Andersen Nexö. Zweiter Nachtrag. Leipzig : VEB Offizin Andersen Nexö, 1962
  • Schriftproben für den Bleisatz. Leipzig: VEB Offizin Andersen Nexö, 1988

Hans von Weber und ›das gute Buch‹

Zu den Ausführungen von Hans Peter Willberg (s.u.) passt vorzüglich ein Text von Hans von Weber (1872–1924), einem der eigenwilligsten und künstlerisch ambitioniertesten deutschen Verleger des frühen 20. Jahrhunderts, den er 1913 in seiner Zeitschrift ›Der Zwiebelfisch. Eine kleine Zeitschrift für Geschmack in Büchern und anderen Dingen‹ veröffentlicht hat. Im Unterschied zu seinem ersten bibliophilen und buchkünstlerisch aufwendigen Zeitschriften-Projekt, ›Hyperion‹, war dem ›Zwiebelfisch‹ eine erheblich längere Lebenszeit beschert. Er wurde erst 1934, nach von Webers Tod, eingestellt.

Von Webers kurze Einführung in die ›Faschingsausgabe‹ ist denn auch charakteristisch für den im ›Zwiebelfisch‹ gepflegten Tonfall:

Dieses kleine Vademecum ist genauso unpünktlich wie der ›Zwiebelfisch‹ selbst: ein Faschingsheft, das nach den Fasten erscheint! Aber da an ihm schließlich alles ungehörig ist [was nicht korrekt ist, s.u.], sowohl die Art, wie es die Kollegen seines Verlegers nicht nur, sondern auch diesen selbst behandelt, als auch die Direktionslosigkeit, mit der es die unpassendsten Schriften wild durcheinander anwendet, möge, wie man oft ja gerade die ungezogensten Kinder am liebsten hat, auch ihm in Bausch und Bogen verziehen werden!

Hans von Weber (Hrsg.): Das kleine Zwiebelfisch-Kulturkratzbürsten-Vademecum. München: Hyperionverlag, 1913. S. 4

Beispielhaft für die skizzierte Verfahrensweise im ›Zwiebelfisch‹ ist von Webers spöttischer Beitrag zur Trennung des »Zwillingspaars« Ernst Rowohlt und Kurt Wolff 1912, der mit Karikaturen von Emil Preetorius illustriert ist.

Doch zurück zum ›guten Buch‹: Gleichsam in der Nachfolge von William Morris (s. den Beitrag ›Buchkunstbewegung um 1900‹), stilistisch aber abweichend vom eher humoristischen Tonfall der übrigen Beiträge beschreibt von Weber in dem Text sehr klar die für ihn wesentlichen und erstrebenswerten Merkmale eines ›guten Buches‹ in Bezug auf das Papier, den Druck, den Satz, den Einband und den Buchschmuck. Mit Ausnahme natürlich seiner Bemerkungen zur für den Buchdruck typischen Schattierung, dem durch den Eindruck der Typen in das Papier auf der Rückseite desselben fühlbaren und nicht selten auch sichtbaren Relief oder Prägung, sind seine Bemerkungen grundsätzlich nach wie vor gültig.

Literatur:

  • Schulte Strathaus, Ernst; von Weber, Wolfgang: Hans von Weber und seine Hundertdrucke, in: Sarkowski, H.; Hack, B. (Hrsg.): Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde. Bd. N.F. 6. Frankfurt a.M.: Gesellschaft der Bibliophilen, 1969. S. 132–133
  • Schauer, Georg Kurt: Die Deutsche Buchkunst. 1890 bis 1960. Hamburg: Maximilian-Gesellschaft, 1963. S. 103
  • Bachmair, Heinrich F. S.: Drei Außenseiter: Julius Zeitler, Hans von Weber, Der Tempel-Verlag, in: Buchenau, S.; Bauer, K. F. (Hrsg.): Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde. Bd. 9. Weimar: Gesellschaft der Bibliophilen, 1940. S. 74–75. 78

Götter, Gräber und Gelehrte

Heute im öffentlichen Bücherregal gefunden: eine sehr gut erhaltene Ausgabe aus dem Jahr 1957 von C. W. Cerams (alias Kurt Wilhelm Marek) erstmals 1949 erschienenen Klassiker ›Götter, Gräber und Gelehrte‹. Für mich ist es immer noch eines der am besten lesbaren nicht-wissenschaftlichen Bücher zum Thema ›Archäologie‹, vor allem wenn man bedenkt, unter welchen Umständen Marek das Buch wenige Jahre nach Kriegsende geschrieben hat. Das Buch und seine bis 1957 über 500.000 verkauften Exemplare haben wesentlich zur Wiederbelebung des Verlags nach dem Krieg beigetragen. Zur wirklich erstaunlichen Entstehungs- und Erfolgsgeschichte des Buches sowie zu Kurt W. Marek selbst gibt es einen aufschlussreichen Beitrag in der 2008 erschinenen Chronik des Verlags: Gieselbusch, Hermann; Moldenhauer, Dirk; Naumann, Uwe; Töteberg, Michael: 100 Jahre Rowohlt. Eine illustrierte Chronik. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2008. S. 159–165. Der Untertitel des Kapitels ist eindeutig: ›Ein Lektor schreibt einen Bestseller und saniert den Verlag‹