»Ihr seid herzlich Willkommen!«

So wurde der aus dem Iran stammende und in Mannheim lebende Zeichner und Buchillustrator Mehrdad Zaeri 1985 mit seinen Eltern und Geschwistern im ersten Flüchtlingswohnheim in Deutschland von einer Iranerin begrüßt. Dasselbe Willkommen galt auch vergangenen Montag allen Besuchern in der Heidelberger Büchergilde-Buchhandlung ›Buch und Kultur‹, als ihr Inhaber Peter Schenk die Ausstellung einer Auswahl von Zaeris aktuellen Zeichnungen eröffnete.

Seit knapp 20 Jahren ist Zaeri als Buchillustrator, Live-Performance-Zeichner und Geschichtenerzähler im deutschsprachigen Raum tätig. Insbesondere mit der für ihre aufmerksam gestalteten und illustrierten Bücher bekannte Büchergilde Gutenberg hat er mehrere wunderbare Bücher herausgebracht, etwa 2008 ›Das chinesische Dekameron‹ und 2021 ›Menschenpflichten‹. 2023 erschien im Thienemann-Verlag die von ihm illustrierte Neuauflage von Otfried Preußlers Jugendbuch-Klassikers ›Krabat‹; drei Jahre dauerte die Arbeit an den in Schwarz-Weiß gehaltenen Zeichnungen: »Das ist, wie wenn man sagen würde: Illustriere bitte den Kleinen Prinzen. […] Das war für mich wirklich eine ganz aufregende Sache.« (Quelle: SWR Aktuell, 12.9.2023; s. auch das Interview mit Zaeri auf der Website des Verlags)

Eine besonders enge, freundschaftliche Beziehung verbindet Zaeri aber mit Peter Schenk, was die Wahl der Heidelberger Buchhandlung als Ausstellungsort erklärt. Bei der Gelegenheit nahm sich Zaeri auch reichlich Zeit, sein neuestes, im Verlag Fischer Sauerländer erschienenes Buch ›Anna – Was die Zeit nicht heilt‹ zu signieren. Es ist eine von ihm und seiner Frau Christina Laube einfühlsam und ausdrucksstark gestaltete Graphic Novel, die auf Bitten eine alten Dame entstanden ist, die gleichsam ein Denk- oder Grabmal für ihre im Zweiten Weltkrieg gestorbene Freundin, eine ukrainische Zwangsarbeiterin, hinterlassen wollte (s. dazu den Beitrag auf SWR Kultur vom 29.7.2024). Geradezu typische Themen für Zaeri: der Mensch in der Fremde, Freiheit und Humanitas.

Ohne Humor ist alles nichts

Humor, also ›guter‹ Humor, ist ein untrügliches Zeichen von Intelligenz, jedenfalls nach meiner Erfahrung. Die Büchergilde Gutenberg, welche dieses Jahr ihren 100. Geburtstag feiert, und die mit ihr verbundenen Menschen, Autoren und Buchhändler, scheinen eine gehörige Portion davon zu haben. Das zeigte sich schon bei der Gründung der Büchergilde, und wird jetzt wieder deutlich bei oder in der ›Sonderausgabe Jubiläum‹, die anlässlich des Jubiläums an die Mitglieder verschickt wurde.

Büchergilde Gutenberg ›Sonderausgabe Jubiläum‹ (2024)

Zum einen wird das schon auf der Titelseite deutlich, auf der es heißt: »Vorwärts – mit heiteren Augen«. Es ist ein Zitat des Mitbegründers Ernst Preczang, der sich damit wiederum auf den Titel des ersten, 1924 erschienenen Buches der Büchergilde ›Mit heiteren Augen‹ bezieht, einer Geschichtensammlung von Mark Twain, und der hatte wahrlich einen guten und viel Humor.

Preczang thematisiert in seiner »Begrüßung und Einleitung« zu dem Buch auf den Seiten 6 und 7 bezeichnenderweise ausdrücklich die wesentliche Bedeutung des Humors für ein erträgliches Leben und als Eigenschaft des »freien Geistes«.

Der Titel des Buches fasst den Inhalt auf einen Blick zusammen, und er deutet gleichzeitig auf die Zuversicht unserer Gemeinschaft: daß sie froher Tatkraft voll ihren Weg gehen werde. Ja, mit vollem Bewußtsein stellten wir ein fröhliches Werk an die Spitze: als ein Zeichen, daß wir den Sinn erheben wollen über die Misere des Alltags und nicht darin versinken; daß wir auch lächel können über die Unvollkommenheiten der Welt und über unsere eigenen Mängel; daß heitere Kraft uns aus dem Kleinen fließe, um desto ernster, desto tiefer die großen Erscheinungen und Schicksale empfinden und würdigen zu können.

Ernst Preczang in: Twain, Mark ; Preczang, E. (Hrsg.): Mit heiteren Augen. Leipzig: Verlag Büchergilde Gutenberg, 1924. S. 6

Dass Humor auch den heutigen Autoren zu eigen ist, beweißt Saša Stanišić, dem beim Verfassen seines Jubiläumsgrußes ein rechter Schalk im Nacken saß.

Büchergilde Gutenberg ›Sonderausgabe Jubiläum‹, 2024. S. 24

Und Humor ist schließlich auch eine Charaktereigenschaft des Inhabers der Heidelberger Büchergilde-Buchhandlung, Peter Schenk, der in seiner Stellungnahme treffend schreibt: »Kultur, das muss Spaß machen, man muss Witze machen und mit den Leuten scherzen können.«

Büchergilde Gutenberg ›Sonderausgabe Jubiläum‹, 2024. S. 31

Wohl wahr! Ohne Humor wäre alles nichts. Und doch, das sei hier humorlos ergänzt, bedeutet Humor, so Preczang,

»eben […] mehr als Spaßmacherei. Es ist nicht so sehr eine Angelegenheit des Verstandes, wie es beispielsweise der Witz ist, sondern viel mehr eine Sache des Gemüts. Der echte Humorist führt eine ›unsichtbare Träne im Wappen‹, er bemitleidet die Welt und sich selber wegen ihrer Torheiten.«

Ernst Preczang in: Twain, Mark ; Preczang, E. (Hrsg.): Mit heiteren Augen. Leipzig: Verlag Büchergilde Gutenberg, 1924. S. 6 f.

Daraus kann nur die Empfehlung folgen, kein Witz: Wer noch nicht Mitglied der Büchergilde ist, sollte dies schleunigst nachholen, am besten sogar noch Genosse oder Genossin werden. Sie und ihre Bücher sind schlichtweg eine Bereicherung des eigenen Lebens wie der Kultur insgesamt.

Das Ende der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft

Die einst renommierte Wissenschaftliche Buchgesellschaft, kurz wbg (die Website ist aktuell [8.1.2024] nur noch sehr eingeschränkt nutzbar, weshalb zur Information über die Geschichte der wbg der entsprechende Wikipedia-Artikel empfohlen wird), die viele Geisteswissenschaftler – in meinem Fall mit Beginn meines Studium in den späten 80er Jahren – begleitet und zuverlässig mit Grundlagenliteratur versorgt hat, ist seit Ende vergangenen Jahres de facto Vergangenheit und seit kurzem de iure nur noch eine Marke, ein ›Imprint‹, wie es im Verlagsjargon heißt, des Herder Verlags (https://www.boersenblatt.net/news/verlage-news/herder-uebernimmt-teile-der-wbg-314143). Wie die wbg in den vergangenen Jahren sich zahlreiche bedeutende Verlage, z.B. Theiss und Philipp von Zabern, einverleibt und damit gleichsam aufgelöst hat, so wird nun auch sie geschluckt und auf kurz oder lang wohl auch bedeutungslos werden. Bezeichnend für den Bedeutungsschwund der wbg in den vergangenen Jahren ist auch das Medienecho sowohl auf die Insolvenz-Ankündigung im Oktober und die Übernahme durch Herder: Neben den Fachmagazinen böresenblatt, Buchreport und Buchmarkt berichteten nur zwei überregionale Zeitungen mit eigenen Beiträgen darüber, und diese haben ihren Sitz auch noch in Hessen: Die Frankfurter Rundschau mit einem Artikel und die FAZ gleich mit drei Artikeln im Oktober (12.10.2023, 17.10.2023 und 21.10.2023), davon einer sogar vom Althistoriker Uwe Walter. Süddeutsche Zeitung und Zeit reichten nur die dpa-Meldung weiter. Für vormals eines der bedeutendsten deutschen Verlagshäuser für geisteswissenschaftliche und theologische Literatur ist das erschreckend wenig.

Die 1946 gegündete wbg sei »im vergangenen Jahr infolge einer nicht erfolgreichen IT-Umstellung, aber auch angesichts der aktuell schwierigen Lage im Buchhandel in eine Liquiditätskrise geraten«, was im Oktober zur »Eröffnung eines Insolvenzverfahrens« und schließlich nach diversen Rettungsversuchen zur Auflösung der wbg geführt habe (Quelle: https://buchmarkt.de/herder-uebernimmt-teile-der-wissenschaftlichen-buchgesellschaft-wbg/). Mag sein, in meinen Augen hat die wbg aber schon seit vielen Jahren oder gar Jahrzehnten durch ihre ›Anbiederung‹ an einen Massenmarkt etwa durch Aufnahme stark populärwissenschaftlicher Titel ins Programm wesentlich an Qualität verloren, sich durch die Übernahme kostspieliger Lizenztitel verkalkuliert und durch das erwähnte Aufsaugen von Konkurrenzverlagen gleichsam aufgebläht und verzettelt. Man könnte es auch mit Uwe Walter schlichter beschreiben: »Später zeigte sich eine gewisse Orientierungslosigkeit.« (https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/das-ende-der-wbg-caesar-zog-die-kaeufer-an-19247987.html). Letztlich halte ich es mit Walter, wonach mit dem Ende der wbg, »wieder ein Stück Heimat verloren« gegangen sei, wobei ich mich dort allerdings schon seit Jahren nicht mehr wirklich heimisch gefühlt habe.

Damit gibt es am deutschen Markt nur noch eine bedeutende Buchgemeinschaft, nämlich die Büchergilde Gutenberg.

Website der Büchergilde Gutenberg (screenshot vom 8.1.2024)

Sie feiert dieses Jahr ihren 100. Geburtstag und ist durch ihre erfolgreiche Umwandlung in eine Genossenschaft, eine kluge Verlagsführung und ein attraktives Programm nach wie vor sehr lebendig. Damit die Büchergilde sich aber weiterhin dem guten, lesenswerten und schönen Buch widmen und es gegen den Strom der Beliebigkeit vertreiben kann sowie zugleich ihre Unabhängigkeit behält, braucht sie als Genossenschaft Unterstützung durch weitere Mitglieder. Informationen dazu finden sich auf der Website unter https://buechergilde.de/genossenschaft-genoss:in-werden.