Offenbar schätzen manche Menschen auch nicht mehr ihre schönen alten Bücher. So fand sich gestern im Bücherschrank auch eine Ausgabe von Felix Timmermans bekanntestem Roman ›Pallieter‹ aus dem Insel-Verlag.
Der Band ist zwar von 1943 (die deutsche Erstausgabe erschien 1921 im Insel-Verlag), und die Seiten sind entsprechend etwas nachgedunkelt. Aber er ist insgesamt gut erhalten und so schön gestaltet, wie es für die Bände des Insel-Verlags damals üblich war, mit hübschen kleinen, einfachen Zeichnungen des Autors und gesetzt anscheinend aus der entzückenden Unger-Fraktur.
Das Buch ist ein guter Beleg für die von Ferdinand Puhe treffende Charakterisierung Timmermans als einen
»[…] Künstler, der mit Worten malt und mit dem Malerpinsel und dem Zeichenstift erzählt.«
Puhe, Ferdinand: »Ich habe zunächst einmal eine Gier beim Malen …«. Felix Timmermans – Schriftsteller und Illustrator. In: Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie Bd. 242, Heft 2021/3 (2021), S. 65
Was kommt heraus, wenn sich versierte Graphiker mit der typographischen Geschichte befassen und sich von vergangenen ›Perlen‹ der Buchgestaltung inspirieren lassen? Schöne Bücher für den schmalen Geldbeutel. So geschehen bei der vom Deutschen Taschenbuch Verlag in Zusammenarbeit mit C.H.Beck 2005 ins Leben gerufenen Taschenbuchreihe ›Kleine Bibliothek der Weltweisheit‹, deren Einbände vom renommierten englischen Gestalter David Pearson entworfen wurden.
Auswahl aus ›Kleine Bibliothek der Weltweisheit. München: dtv und C.H.Beck (2005–)‹
Pearsons Stil ist wesentlich typographisch, durch die Schrift inspiriert: »It is certainly revivalist, which is another way of saying that I steal from the past. typography is almost always the main ingredient and this, along with a limited colour palette, tends to give my work a unified look.« (Interview im Magazin ›designboom‹ am 21.1.2014: https://www.designboom.com/design/interview-with-graphic-designer-david-pearson-01-21-2014/).
Und so ist Pearson anscheinend auch bei den Umschlägen der dtv-Reihe vorgegangen, die mit mehr oder weniger engen Bezügen zu historischen Schriften und Büchern spielen und diese in eine reizvolle Gestaltung umsetzen: So hat Pearson beim Epikur-Band, dem griechischen Philosophen des 4./3. Jahrhunderts v.Chr., zwar Buchstabenformen griechischer Inschriften aufgegriffen, aber sie gehen mehrheitlich nicht auf solche der hellenistischen Zeit zurück, sondern der Archaik, also des 7. und 6. Jahrhunderts v.Chr. In dem Fall war ihm vermutlich der typographische Reiz der Lettern wichtiger als eine historische Präzision.
Anders bei der Gestaltung des Bandes von Marc Aurels ›Selbstbetrachtungen‹. Bei ihm hat sich Pearson offenbar an ungefähr zeitgenössische Schriften des Kaiserphilosophen orientiert, in dem er die Capitalis Monumentalis öffentlicher Inschriften des 2. Jahrhunderts übernahm, wie z.B. jene der Traians-Säule.
Für den Umschlag des Bandes ›Michel de Montaigne: Von der Freundschaft‹ übernahm Pearson wiederum konkret eine zeitgenössische Vorlage, die mit Montaigne selbst indes wenig zu tun hat: Es handelt sich um den Titel einer deutschen Übersetzung von Ovids Metamorphosen ›P. Ovidii Metamorphosis, Oder: Wunderbarliche vnnd seltzame Beschreibung, von der Menschen, Thiern, vnd anderer Creaturen veränderung, auch von dem Wandeln, Leben und Thaten der Götter, Martis, Venerii und Mercurii, etc‹, gedruckt und verlegt in Frankfurt a.M 1581 von Sigmund Feyerabend.
Ein engerer historischer Bezug ist beim Boethius-Band augenfällig: Der römische Gelehrte und Politiker Boethius wirkte vor allem während der Herrschaft des Ostgotenkönigs Theoderich den Großen, also im frühen 6. Jahrhundert. Auf seinem Einband zitiert Pearson treffend die Rundbogen-Arkaden, die jeweils den unteren Rand der Seiten der ›Wulfila-Bibel‹ respektive des Codex Argenteus zieren, der Anfang des 6. Jahrhunderts in Norditalien, möglicherweise in Ravenna für Theoderich, entstanden ist. Zudem sind die Buchstaben des Titels der dort verwendeten ›gotischen Schrift‹ nachgebildet.
Und schließlich lehnt sich Pearson bei der Gestaltung der beiden Nietzsche-Bände – ›Also sprach Zarathustra‹ und ›Ecce Homo‹ – sehr eng an die beiden berühmten Ausgaben an, die Henry van de Velde 1908 für den Insel-Verlag gestaltet hat. Beim ›Ecce Homo‹ diente der Doppeltitel als Vorbild, beim ›Zarathustra‹ der vordere Einbanddeckel.
Soweit einige Beispiele der typographischen Bezüge. Ein weiterer Clou der Umschläge ist aber, dass die Schriften auf den Vorderdeckeln nicht einfach gedruckt wurden, sondern sie sind zweifarbig rot und schwarz vertieft geprägt, was der Handhabung der Bände einen besonderen Reiz verleiht. Insofern ist die Ausstattung schon fast zu edel für ein Taschenbuch, oder, positiv formuliert, sie sind es durchaus wert, auch ins Bücherregal gestellt zu werden.