Schneidler und Diederichs

Eine schöne Überraschung gab es vor einigen Tagen, als mir eine freundliche Nachbarin neben diversen Büchern auch drei Bände des Eugen Diederichs Verlag mit Illustrationen von F. H. Ernst Schneidler schenkte:

Kungfutse: Gespräche (Lun Yü), Die Religion und Philosophie Chinas. Bd. 1. Jena: Diederichs Verlag, 1910

Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund (Tschung Hü Dschen Ging). Die Lehren der Philosophen Liä Yü Kou und Yang Dschu, Die Religion und Philosophie Chinas. Bd. 8,1. Jena: Eugen Diederichs Verlag, 1911

Mengzi: Mong Dsi (Mong Ko), Die Religion und Philosophie Chinas. Bd. 4. 2. Aufl. Jena: Eugen Diederichs Verlag, 1921

Beide – Diederichs und Schneidler – haben zwischen 1909 und 1924 zahlreiche Buchprojekte miteinander realisiert und gehörten zu den wichtigsten Protagonisten der Buchkunstbewegung in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie wurden auch in der Ausstellung der Heidelberger Universitätsbibliothek 2018/19 ausführlich vorgestellt.

Der Verleger Eugen Diederichs (1867–1930) gilt als Wegbereiter der neuen Buchkunst in Deutschland und wird in der 1912 erschienenen Heidelberger Dissertation von Helmut von Steinen als »der Prototyp des modernen deutschen Kulturverlegers« bezeichnet. Beeinflusst von den Ideen William Morris’ setzte er von Beginn an seine Vorstellungen von einer hochwertigen Ausstattung insbesondere des ›Gebrauchsbuchs‹ durch. Die Gestaltung des Einbands und des Textes, der Buchschmuck und die Papierwahl mussten aufeinander abgestimmt werden und dem Inhalt des Buches entsprechen. Besondere Aufmerksamkeit widmete Diederichs bei seinen Büchern dem Innentitel, während der Textteil meist keinerlei Schmuck aufweist, wie es auch bei den hier vorgestellten Bänden der Fall ist.

Das folgende Zitat aus einem Beitrag des Bibliothekars und Buchwissenschaftlers Jean respektive Hans Loubier zur ›neuen Buchkunst‹ von 1910 umreißt die Bedeutung Diederichs recht präzise:

»Wenn wir nach den Verlegern fragen, die zuerst auf eine zeitgemäße künstlerische Durchbildung ihrer Verlagswerke in Druck, Satz, Buchschmuck und Einband Gewicht legten, so müssen wir dankbar als ersten, als Bahnbrecher Eugen Diederichs nennen, der damals, 1896, seinen Verlag begründete. Diederichs ist bis heute unablässig bemüht gewesen, jedem Buche seines Verlags eine seinem Inhalt entsprechende, ich möchte sagen individuelle Ausstattung zu geben. Mit liebevoller Sorgfalt wählte er, fast für jedes Buch anders, das Druckpapier, die Type, die Satzanordnung, den Zierat, Vorsatz und Einband, in allen kleinsten Einzelheiten, z. B. im Titelsatz, in der Anordnung der Seitenzahlen und Kopftitel, der Druckvermerke, suchte er etwas Neues, Originelles zu geben. Er hat, lebhaften und beweglichen Geistes, viel experimentiert, aber sein feiner Geschmack, sein buchästhetisches Gefühl bewahrten ihn davor, im Neuen etwa absurd zu werden. Und seine mancherlei Experimente haben anderen Verlegern und auch Künstlern viele Anregungen gegeben. Er hat, was ihm nicht hoch genug angerechnet werden kann, und womit er mutig vorangegangen ist, von Anfang an junge Künstler herangezogen, wie Cissarz, Fidus, Vogeler, Lechter, Behrens, E. R. Weiß, Ehmcke und manche andere, und ihnen nicht nur den bildlichen und ornamentalen Schmuck, sondern die ganze Druckeinrichtung übertragen. Ebenso wie er neue Künstler an die Bucharbeit heranzog, hat er nicht nur den bewährten, durch künstlerische Arbeit bekannten Druckereien wie Drugulin, Holten, Breitkopf & Härtel Druckaufträge gegeben, sondern er fand auch von den noch weniger bekannten Offizinen diejenigen heraus, die mit ihm neue Wege gehen wollten, wie Poeschel & Trepte, die Steglitzer Werkstatt, und wußte wieder andere, z.B. die Spamersche Druckerei, durch seine Aufträge überhaupt erst zu geschmackvoller Arbeit anzuregen.«


Loubier, Jean [Hans]: Die neue Buchkunst, in: Volkmann, Ludwig (Hrsg.): Die graphischen Künste der Gegenwart. Das moderne Buch. Stuttgart: Felix Krais Verlag, 1910. S. 276

Um jeden Text aus der ihm gemäßen Schrift zu setzen, wählte Diederichs auch aktuelle, von jungen Malern und Graphikern wie Otto Eckmann, Fritz Helmuth Ehmcke oder Walter Tiemann geschaffene Schriften. Für die hier gezeigten Bände kam anscheinend eine Schrift des 1873 geborenen Richard Grimm-Sachsenberg zum Einsatz, die vermutlich 1908 von der Schriftgießerei Julius Klinkhardt veröffentlichte Schrift ›Neue Römische Antiqua‹.

Gerade in der überaus produktiven Phase des Verlags vor dem Ersten Weltkrieg war Schneidler einer der kreativsten deutschen Buchgestalter. Nach seinem Studium von 1904 bis 1905 bei Peter Behrens und Ehmcke an der Kunstgewerbeschule in Düsseldorf arbeitete er bis 1924 für Diederichs und gab vor allem einigen Reihen des Verlags, die Diederichs besonders am Herz lagen, ihr typisches Gepräge. So etwa den ersten Bänden der 1912 eröffneten und beinahe 100 Jahre lang erschienenen Reihe ›Märchen der Weltliteratur‹ und eben ›Die Religion und Philosophie Chinas‹, in der chinesische Klassiker, unter anderem von Laotse, Konfuzius, Zhuangzi und das I Ging, die der Stuttgarter Sinologe und Theologe Richard Wilhelm erstmals ins Deutsche übersetzt hatte, in sechs Bänden veröffentlicht wurden. Insgesamt gestaltete Schneidler für Diederichs 29 Titel, wobei er entweder die gesamte Ausstattung eines Buches übernahm oder, wie bei den vorliegenden Bänden, auch nur den Einbandes oder die Doppeltitel zeichnete. Letztere tragen zudem auch das 1910 von Schneidler gestaltete Löwen-Signet des Verlags (es bezieht sich auf den ›Marzocco‹ des Donatello in Florenz). Seine intensive Auseinandersetzung mit chinesischer Literatur, Philosophie und Kalligraphie wird ihn zusätzlich für die Aufträge qualifiziert haben.

Kungfutse: Gespräche (Lun Yü), Die Religion und Philosophie Chinas. Bd. 1. Jena: Diederichs, 1910

Literatur

2 Gedanken zu „Schneidler und Diederichs“

    1. Sehr geehrter Herr Schlegel,

      danke der Nachfrage. In den mir vorliegenden Bänden konnte ich keine Hinweise auf in Jena lebende Chinesen finden, was mich auch nicht wundert, da die Texte von Wilhelm während seiner Zeit in Qingdao (Tsingtau) übersetzt wurden. Jena war lediglich der Verlagsort.

      Mit freundlichem Gruß

      Jürgen Franssen

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